Liebes Internet, über die sozialen Netzwerke, die du schaffst, kommen immer wieder Bilder von toten Kindern auf meinen Bildschirm. Ja, ich könnte auch Twitter direkt anschreiben, oder diejenigen anschreiben, die diese Bilder überhaupt hochladen und weiterverbreiten, und sie mir dann in die Timeline spülen. Aber jetzt schreibe ich einfach dir, liebes Internet, und schicke Twitter und all denjenigen, die diese Bilder posten einen Link. Dafür bist du ja da, Internet.
Ich gebe es gerne zu: für die Bilder von toten Kindern bin ich zu sensibel. Ich mag überhaupt nicht gern tote, verstümmelte, geschändete und entstellte Leichen sehen. Beruflich muss ich mich auch Menschen aussetzen, die nicht friedlich und fröhlich gestorben sind, und ich muss sagen: das ist dann auch genug für mich, danke. Vielleicht habe ich dadurch auch eine dreidimensionalere Vorstellung von Toten als der gewöhnliche Computernutzer, kann sein.
Bei Kindern ist dann bei mir endgültig jede Schmerzgrenze überschritten. Weil ich dreifach dreidimensionale sehr konkrete Vorstellung von lebendigen Kindern habe. Von ihrer Lebensfreude, ihrer Lebenslust, ihrer Lebenskraft. Solche kleinen Körper entseelt im Matsch oder im Blut sehen zu müssen bricht mir das Herz. Ich ertrage es nicht. Ich will diese Bilder nicht sehen.
Ja, sagst du jetzt, es ist aber doch die Wirklichkeit, die Wahrheit, die nackte unbarmherzige Realität. Ich solle davor nicht die Augen verschließen, dass in Donbas, Palästina, Syrien und im Mittelmeer kleine Kinder sterben. Nicht das Zeigen dieser Wirklichkeit sei das Problem sondern die Realtität selber sei nun mal so schlimm. Und gefährlich sei es, davor die Augen zu verschließen, so wie ich das gerne wollte.
Dann könnte ich jetzt auf die Würde der Toten eingehen. Dass man so viel Respekt vor diesen armen Kindern haben müsse, dass man ihre Leichen jetzt nicht zu Schau stellte, als Schock und Gruselfoto, als Monstrosität wie weiland in den Jahrmarktsbuden Wasserköpfe und siamesische Zwillinge präsentiert wurden. Lasst sie in Frieden ruhen, könnte ich fordern und zeigt sie nicht herum in der ganzen Welt.
Dann würdest du entgegnen, dass das Zeigen ihrer toten Körper doch helfen könnte, die Herzen der Menschen zu erreichen, und sie zum Umdenken zu zwingen, die Ursachen für so schreckliches und würdeloses Sterben abzustellen. Nur so würde dieser vorzeitige und entsetzliche Tod doch überhaupt nur noch einen Sinn bekommen können. Dass er zur Umkehr mahnt, und sp vielen anderen Kindern das Leben rettet.
Ich melde Zweifel an. Die Schockwirkung ist zweischneidig. Sie kann auch instrumentalisiert werden, um die Menschen zu schnellen Schlüssen und unbedachtem Handeln zu verführen. Das tote Kind kann propagandistisch missbraucht werden. Sein Bild kann kalt berechnend gezeigt werden, um sogar noch mehr Gewalt und Hass zu säen. Du erinnerst dich an alles, Internet, also sagt dir der Name Mohammed al Durrha etwas. Du weißt auch, dass tote Kinder aus Beslan virtuell in den Donbas verlegt wurden. Und du weißt auch wozu.
Und jetzt erzähle mir nichts von schwarzen Schafen, und dass du ja auch hilfst, Fakes und Hoaxes zu entlarven. Nein, es ist sogar ein Wettbewerb zu fürchten, meine toten Kinder gegen deine. Und meine sind noch zahlreicher, noch kleiner, noch unschuldiger und noch bestialischer ermordet worden als deine. Und ich, als Teil der Weltöffentlichkeit, soll hinsehen. Soll womöglich dann den Schiedsrichter spielen, sagen, wer gewonnen hat.
Und, Internet, das weißt du wie ich: Wenn dieser Wettbewerb erst einmal läuft, gibt es auch Despoten, Terrorpaten und Verbrecher, die würden eigenhändig Kinder töten, um diesen Kampf um das öffentliche Entsetzen zu gewinnen. Dann rettet das Zeigen der Kinderleichen kein einziges Leben, sondern wird zur tödlichen Gefahr für die unschuldigsten und wehrlosesten menschlichen Wesen unseres Planeten.
Deshalb: Zeige mir bitte keine toten Kinder mehr. Und ich weiß, ich bin ein Teil von dir, also verspreche ich dir zweierlei: Ich werde selber keine toten Kinder posten, teilen, liken oder sonst ihren Umsatz in deinen Kanälen erhöhen. Und ich werde mich weiter einsetzen dafür, dass diese Bilder gar nicht mehr entstehen können. Werde schreiben gegen den Krieg, gegen den Terror und für Mitmenschlichkeit auch in der Flüchtlingspolitik.
Versprochen.
Heidelbaer
Ich habe – via Twitter (@_auchICH) eben dein Blog entdeckt und abonniert. Du spricht mir so aus Herz und Seele. Danke dir!
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Dankeschön. Das ist auch der Sinn von diesem Blog, mir selbst ein paar Gedanken von der Seele zu schreiben. Schön, wenn sich dann „Verwandte“ finden.
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