Noch nie hat man Angela Merkel so kämpferisch gesehen wie gestern im Talk mit Anne Will. Hochkonzentriert, extrem sachlich und überraschend frei von üblichen Politikerphrasen. Mancher wird sein Merkel Bingo frustriert zerknüllt und in die Ecke geschmissen haben. Philippika hat ein paar Sätze aufgespießt, die auf allen Kärtchen fehlten – und deutlich zeigen: wir haben eine neue Kanzlerin erlebt.
„Ich als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland“
Dieser Satz hätte manchen Spieler unter den Tisch gebracht. Er kam so oft, dass ich aufgehört habe zu zählen. Die diesmal klug nachfragende Anne Will spürte das und wollte wissen, ob dies Merkels „Basta“ Moment sei. Und auch wenn Merkel einer direkten Antwort auswich, wusste jeder: Genau so ist es. Jede Bürgerin und jeder Bürger, jede Ministerin und jeder Minister, ja auch alle Landeschefs und Angestellten bis in die kommunale Ebene sollten es hören: Achtung, Achtung, hier spricht der Kapitän.
„Die bayerische Staatsregierung arbeitet Tag und Nacht“
Auch damit hatte niemand gerechnet, dass Angela Merkel Horst Seehofer lobt. Aber weh denen, die von ihr Komplimente bekommen. Denn man muss es doch wohl so hören: Horst Seehofer und seine gesamte Mannschaft arbeiten Tag und Nacht daran, meine Politik, meine Richtlinien, meine Entscheidungen in die Tat umzusetzen. Ganz egal, was die öffentlich meckern und maulen. Wäre der Horst ein Klaas, hätte er seinen Hut gegessen.
„Die Türkei hat Schwierigkeiten, ihre Grenze zu sichern“
So harmlos kann man Erdogans Erpressung also formulieren. Um so besser, dass Merkel erstens klar formuliert hat, dass die Türkei als NATO Partner dazu verpflichtet ist – und auch dazu in der Lage wäre. Sie erklärt, dass Entgegenkommen in der Hilfe für Flüchtlinge vor Ort selbstverständlich möglich ist. Aber sie signalisiert keine Kompromisse in der Kurdenfrage oder jenen als „Sicherheitszonen“ getarnten Invasionsgelüsten der Türkei.
„Es ist meine verdammte Pflicht“
Das ist Merkels „Deutschstunde“. So wenig sie sich dazu hinreißen ließ, deutsche Tugenden pauschal von anderen zu fordern, so sehr fiel auf, dass Fleiß, harte Arbeit und ja, auch Pflichterfüllung ihr eigenes Ethos prägen. Sie macht deutlich, dass es ihr kein Vergnügen macht, mit zynischen Machtpolitikern wie Erdogan (oder in Sachen Ukraine mit Putin) zu verhandeln, die bereit sind, über Leichen zu gehen. Aber sie muss.
„Wir haben das Bild von dem Kind am Strand gesehen“
Für mich das wichtigste Zitat. Merkels geradezu preußisch anmutende Pflichtethik steht nicht als hohle Form im Raum. Sie ist eine innere Verpflichtung für die Menschen. Es ist in letzter Konsequenz eine klare Absage an eine macchiavellistische Politik. Man hätte Deutschland mit einer konsequenten Abschottung der Grenzen sicherlich viel Probleme erspart. Man wäre vielleicht auch außenpolitisch gegen Putin und Erdogan erfolgreicher gewesen, hätte man nach ihren Regeln gespielt. Man kann das politische Schwäche nennen – wir nennen es moralische Stärke.
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