Aus der Traum?

Es war ein Spätsommermärchen. Für mich war es eindrucksvoller als das von Korruption, Doping und Kommerz überschattete Gekicke der Weltmeisterschaft. Es war dieses ganz neue, ganz heimlich gewachsene neue Deutschland, das plötzlich an Grenzübergängen und Bahnhöfen stand und sagte: „Herzlich Willkommen!“

Sie sagten es nicht zahlenden Touristen, sie sagten es nicht Politikern oder Weltstars. Sie sagten es ängstlichen, abgebrannten und ausgezehrten Menschen, die nur mit Smartphone in der Tasche und dem Allernötigsten hier ankamen. Flüchtlinge vor einem menschenvernichtenden Bürgerkrieg mit apokalyptischen Ausmaßen. Aber auch Sinti und Roma auf der Flucht vor Repression, Afghanen, die die Hoffnung auf Frieden und Freiheit in ihrem Land verloren haben.

Und sie stehen noch heute da, diese Menschen, sie sagen es noch heute, das Herzlich Willkommen. Und es sind keine linken Spinner, es sind keine Träumer und Idealisten, es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Aber nun scheint es, werden sie im Stich gelassen.

Der Traum von einem anderen, einem freundlicheren, einem menschlicheren und barmherzigen Deutschland, er zerbricht nicht an der nachlassenden Kondition der Helfer. Er zerbricht andem Verrat. An dem Verrat an diesen Helfern, dem Verrat an den Menschen die hier Schutz suchen, dem Verrat an den Werten, die das Abendland christlich machen.

Die Verräter sitzen überall: die alten Männer, die sich an der ersten weiblichen Kanzlerin rächen, in dem sie den einen Moment der Mitmenschlichkeit als Schwäche auslegen, ja förmlich ausweiden. Die statt ihre Pflicht zu erfüllen und die Richtlinien der Kanzlerin umzusetzen, ihre eigenen machtpolitischen Süppchen kochen. Vermeintlich wollen sie Schaden vom Land abwehren, aber sie beschädigen die Kanzlerin und sie beschädigen Deutschland.

Die Verräter sind auch in den Medien zu suchen, die wieder einmal den Fokus gelingender Hilfe verlieren, und das Hässliche in den Blick nehmen, die Zäune, die Verbrechen, die Ängste, die Schreihälse und brennenden Heime. Unglaubliches passiert, wahre Wunder werden vollbracht (Stichwort Hamburger Messehallen) – und kaum einer bekommt es mit. Stattdessen wird überall der Eindruck erweckt: Es sind zu viele, wir schaffen es nicht, die Nazis sind zurück, die Stimmung kippt.

Die Verräter sind aber auch in unserer Europäischen Nachbarschaft zu finden. Statt gemeinsam, konstruktiv und mutig eine neue Regelung für das komplett gescheiterte Dublinverfahren zu finden, zeigten alle Finger auf Deutschland. Und zwar sowohl, wenn die Flüchtlinge fragten, wo sie denn bleiben könnten – als auch wenn nach dem Schuldigen für die Krise gefragt wurde. Ein würdeloses, schäbiges und absurdes Theater – statt handlungsfähige Solidarität.

Und der Verrat der ganz großen Politik: Erdogan, Putin, Obama, Khamenei und die Scheichs: wer von denen, die vor Ort Macht, Geld und Truppen haben, hat denn irgendetwas getan, um den Bürgerkrieg zu deeskalieren, Zivilisten wirksam zu schützen, sichere, saubere und winterfeste Flüchtlingslager zur errichten? Stattdessen wird auch hier Deutschland von seinen vermeintlichen Freunden ziemlich im Stich gelassen, wenn es Fluchtursachen bekämpfen möchte.

Dann eben nicht, hat jetzt offenbar auch Angela Merkel entschieden. Dublinverfahren für syrische Flüchtlinge, Begrenzung des Familiennachzuges, Grenzzäune, Kontrollen, Abschiebungen. Alles wieder beim Alten, aus der Traum. Doch war es nur ein Traum, oder war das Deutschlands große Chance, die wir nun in den Sand setzen?

Seien wir doch ehrlich: Waren offene Länder, offene Gesellschaften, asylgebende Nationen in der Geschichte nicht oft die erfolgreicheren? Ist nicht der Versuch, Veränderungen entgegen globalen Wandels und großer Migrationsströmunen aufzuhalten ohnehin chancenlos und dumm? Und wird das christliche Abendland nun durch einstellige Prozentzahlen religiöser Minderheiten bedroht, oder durch den Verrat an seinen ureigensten Werten? Die Geschichte gibt eine klare Antwort.

Wir wollen den Traum weiterträumen, von einem offenen, lebendigen, sich verändernden Deutschland. Wir wollen Zukunft gestalten auf dem Fundament von Werten, die es wert sind, dafür zu kämpfen zu leiden und zu sterben. Werte, die nicht bei dem ersten Verdacht, ihre Umsetzung könnte etwas kosten, verraten werden. Wir wollen kein Deutschland, dass in Selbstzufriedenheit erstarrt, während vor seinen Grenzen Menschen erfrieren, ertrinken, verenden.

Die Politik sagt uns: Aus der Traum. Aber sie hat nicht das letzte Wort

Heidelbaer

2 Antworten zu „Aus der Traum?”.

  1. Wie wahr.
    Danke für deinen Hin-Blick. Das ist ein wichtiger Text!

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