Heimat. Ein Interview

Was ist für Sie Heimat?

Als Kind (oder mehr: Enkel) von Vertriebenen ist Heimat für mich vor allem ein Sehnsuchtsbegriff. Etwas, was weit weg ist, lange her ist und deshalb unerreichbar ist. Und gerade deshalb wunderschön und unrealistisch ist. Wie Bullerbü.

Kann man seine Heimat lieben?

Man muss sie lieben. Im Wort Heimat ist doch schon ganz viel Wärme und Liebe drin. Als ich in Dänemark studierte, lief der mehrteilige Film mit dem Titel „Heimat“, und der dänische Moderator bemühte sich, diesen sehr deutschen Begriff für seine Zuhörer zu übersetzen. Für uns Deutsche ist es eben nicht nur Liebe, sondern immer auch Schmerz und Sehnsucht. Heimat wird ja erst wirklich spürbar, wenn sie weg ist. Wenn man Heimweh hat. Noch so ein schönes Wort.

Nun wollen AfD und Konservative dieses Wort politisch besetzen, geht das?

Für Konservative ja gewissermaßen der Normalfall. Es soll so bleiben, wie es einmal war. Konservatismus ist ja eine Art historisches Heimweh. Die Zeit geht weiter, und lässt ein Deutschland hinter sich, in dem ich mich zurecht gefunden habe. Wo man mit zwei Groschen telefonieren konnte. Wo man ein Auto noch selbst reparieren konnte. Wo ein Dieb für eine Million noch einen großen Koffer brauchte und nicht zwei Mausklicks. In dem Deutschland heute ist vieles so unübersichtlich, Das macht unbehaglich und auch ein wenig heimwehkrank. Und dem darf man auch mal das Wort lassen. Aber wo ich mit Gewalt versuche, dahin zurückzukommen, wird es Fundamentalismus.

Sie nennen es Fundamentalismus. Ist das nicht ein religiöser Begriff?

Wer, wenn nicht wir Theologen, wüssten, was eine Sehnsucht ist, nach etwas unerreichbarem, schönem, heilem Ganzen? Die Bibel spricht vom Himmel, vom Reich Gottes als Heimat – und schärft uns gleichzeitig ein, dass wir hier keine bleibende Stadt haben, und sich unsere Sehnsucht erst im Jenseits erfüllt. Wer den Himmel auf Erden mit Gewalt herbeizwingen will, ist ein Fundamentalist, egal ob er Christ oder Muslim ist.

Und was sagen sie zu denen, die den Begriff ganz ablehnen, die humanistisch denken statt völkisch und global statt national?

Sie haben einen anderen Traum, eine andere Sehnsucht. In der ganzen Welt zuhause sein. Ich finde sie auch in der Bibel: Nicht mehr Jude noch Grieche, nicht mehr Sklave noch Herr, weder Mann noch Frau – alles eins in Christus. Das alle Grenzen zwischen Menschen, ob ihre Herkunft und Religion, ob ihr sozialer Status, ja sogar ihr Geschlecht am Ende bedeutungslos werden – das ist Reich Gottes. Und es ist erstaunlich, wie stark diese Vision ist, wie nahe wir ihr gekommen sind in unseren westlichen Demokratien.

Aber diese Demokratien wurden auch mit Gewalt erstritten. Waren ihre Vorkämpfer auch Fundamentalisten?

Gute Frage. Gleichzeitig ist Demokratie das Bemühen, Gewalt zur Lösung politischer Konflikte obsolet zu machen. Ich bin Pazifist und lehne für mich Gewalt zur Erreichung politischer Ziele ab, muss aber zugeben, dass es öfter auch zum Guten war, ein Unrechtssystem gewaltsam zu beseitigen.

Und die Flüchtlinge heute? Sollen sie in ihre Heimat zurück? Bedrohen sie unsere Heimat?

Auch die Flüchtlinge von heute kennen Heimweh. Die Beseitigung von Fluchtursachen, also die Verbesserung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse in den Herkunftsländern ist viel wichtiger als eine möglichst martialische Abschiebepraxis. Aber das ist natürlich leichter gesagt als getan, ein Jahrhundertprojekt. Die Frage, ab wann Deutschland mit den Zuwanderern überfordert ist, sollte offen diskutiert werden dürfen. Nicht jeder, der Sorgen hat ist ein Nazi. Hören Sie mal Türken in Neukölln oder Marxloh zu, die sind auch gegen unbegrenzte Einwanderung. Allerdings ist meine Meinung, dass Deutschland stärker ist, als manche Angstmacher es uns glauben machen wollen.

Was meinen Sie mit stärker? Unsere Wirtschaft brummt…

Ja, wirtschaftlich kriegen wir sie alle durchgefüttert, und mittelfristig auch in den Arbeitsmarkt integriert, auch wenn speziell für Männer mit geringer Qualifikation die Bedingungen am schwierigsten sind. Wobei ich es für zumutbar halte, dass auch ein Mann mal putzen geht. Und in der Praxis funktioniert das ja auch schon hier und da. Aber ich meine die innere Stärke

Worin liegt diese innere Stärke, von der Sie reden?

Dass unser westliches demokratisches System einfach attraktiv ist. Sehen Sie, dass ist der Kardinalfehler derer, die vor Islamisierung warnen: Viele unserer türkischen Mitbürger sind voll integriert, ob sie noch Muslime sind oder nicht. Es gibt zwar noch Ghettos in denen noch Anatolien lebendig ist, aber gerade die Angst von den Arabern zeigt: Sie wollen hier keinen Scharia-Staat. Ich vermute, das werden die meisten Neubürger nach ein zwei Generationen auch so sehen.

Aber es reichen ja nur wenige Radikale, um Terrorangriffe auszuführen.

Völlig richtig. Aber gerade da sollten wir ein wenig auf Israel schauen. Auf die eigene Stärke vertrauen, Sicherheit zu verbessern ohne das Leben zu verlernen. Das was Heimat ist, einfach zu suchen, zu erhalten, ohne es zu ersticken. Und was bislang auch gut funktionierte: Das Unterstützermilieu gerade dadurch klein halten, dass wir anderen Muslimen und Einwanderern zeigen: Ihr gehört zu uns, nicht zu denen. Das bedeutet Integration, besser Inklusion. Schon vielen Anschläge wurden dadurch vereitelt.

Letzte Frage: Wie könnte Deutschland aussehen, damit es auch in Zukunft ein bisschen Heimat ist?

Ein bisschen und „ein Stück weit“ – das sind so Predigtfloskeln. Aber ich verstehe Sie. Warum nicht Hoffmann von Fallersleben zitieren: Einigkeit und Recht und Freiheit finde ich einen schönen Traum. Der hat auch Platz für andere, die diesen Traum mitträumen wollen. Die Freiheit lässt sogar auch Raum für die, die sich nicht vereinnahmen lassen wollen, aber trotzdem dazugehören. Ich wünsche mir ein Deutschland, dessen Charme einer starken Kultur der Freiheit auch jene herumkriegt, die in welcher extremistischen Ecke auch immer ihre Mauern bauen.

Ich danke Ihnen für das Gespräch

Gerne.

 


Ein Gedanke zu “Heimat. Ein Interview

  1. Lieber Philipp, lese ja manchmal deine „Phiippika“. Gerade auf unserem Sofa, zusammen mit Frauke. Danke für deine Gedanken, die nicht selbstverständlich, und schon garnicht Allgemeinplätze sind, sondern mich richtig erweitern und gleichzeitig irgendwie auch „vertiefen“…. … also einfach: viele Grüße aus Jöllenbeck, besonders auch an Kathrin. Martin

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