Ihr Lieben:
Gender ist ein Aufreger-Thema. In Bayern ist es verboten, männliche und weibliche Formen durch großes I, Sternchen, Unterstrich oder andere kreative Schreibweisen miteinander zu vermischen. RECHTSCHREIBUNG, bitte. Und Ästhetik. Und überhaupt: meint nicht die männliche Form nicht männlich, weiblich und alles dazwischen?
OMG, jetzt ist gleich das nächste Fass offen:
Das war ja mal, dass es Männlein und Weiblein gab, Adam und Eva, und die Welt war in Ordnung. Jetzt gibt es nicht nur verschiedene sexuelle Vorlieben, sondern auch ganz verschiedene sexuelle Identitäten, und nicht nur, dass sich Männer plötzlich als Frauen fühlen, und Mädchen als Jungs, dass man gar nicht so genau wissen will, wer jetzt mit wem was genau macht – diese so ganz anderen Menschen bestehen auf Sichtbarkeit, auf Toleranz, ja sogar Akzeptanz.
Mit anderen Worten: Ich soll das nicht ignorieren, soll nicht wegsehen, nicht so tun als gäbe es diese Leute nicht. Sondern hinsehen, sie wahrnehmen, sie nicht verurteilen oder verachten, sondern sie und das was sie tun und fühlen womöglich auch noch gut finden. Oder wenigstens OK. Also von Toleranz zu Akzeptanz.
Das ist für viele zu viel verlangt. Und man kann mit der Parole, diesen ganzen regenbogenbunten Zirkus wieder aus der Öffentlichkeit zu verbannen, Wahlkampf machen, und einige Stimmen gewinnen. In manchen Ländern sogar die meisten. Abgesehen davon, ob das wirklich menschlich und christlich ist, werden gerade christliche Werte dafür ins Feld geführt.
Na, dann wollen wir doch mal genau hinsehen. Wenn es um christliche Werte geht, dann hilft doch meist ein Blick in die Bibel. Was sagt die Bibel dazu, das Neue Testament, was sagen Jesus oder Paulus?
Und Paulus, der ist eigentlich ein ziemlich konservativer Knochen. Er ermahnt eigentlich die Gemeinden, alles schön beim Alten zu lassen.
Also Juden bleiben Juden, und brauchen auch nicht alles essen, griechische Christen dürfen dabei bleiben, alles zu essen und müssen sich den Juden auch nicht anpassen, Sklaven bleiben Sklaven, und Herren bleiben Herren, und Frauen sollen sich lieber unterordnen, nicht zu viel reden und sich schicklich anziehen.
Homosexualität findet er gottlos und überhaupt ist seine Sexualmoral eher strikt und nicht sehr liberal. Alles in bester Ordnung, möchte man meinen. Und dann kommt DAS:
26Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. 27Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Ich glaube, es wird einem erst beim zweiten Mal lesen klar, was da eigentlich steht. Wir sind im Glauben Gottes Kinder, wir sind alle getauft und haben Christus angezogen: OK, das ist ein cooles Bild, Jesus bekleidet uns, das macht uns für Gott unwiderstehlich liebenswert.
Aber dann kommt‘s: Ab jetzt gilt nicht mehr Jude noch Grieche.
Stopp.
Was meint er damit? Damit meint er nicht weniger, als das die heilige Heilsordnung Gottes obsolet wird. Ob du zum erwählten Volk gehörst oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Das war damals absolut revolutionär, das war eigentlich schlimmste Ketzerei.
Man hatte sich mühsam darauf geeinigt, dass auch Nichtjuden irgendwie dazugehören dürfen. Gaststatus im Heiligen Volk. Dürfen bleiben solange sie sich benehmen. Schweinefresser an den Katzentisch. Herzlich Willkommen, aber wehe es kommen mir hier irgendwelche Klagen.
Kennen wir das irgendwoher? Egal, darum geht es jetzt nicht.
Denn Paulus sagt: BULLSHIT. Es gibt nicht Kinder und Gäste, sondern NUR Kinder. Wer getauft ist, hat Jesus angezogen, und der ist Kind Gottes, und Erbe der ganzen Welt, die sein Papa geschaffen hat. Es gibt keinen Jesus zweiter Klasse und keine Kinder Gottes auf Bewährung. Einmal Kind, immer Kind. Wie im echten Leben.
Wenn man sich klar macht von was für einer zentraler Wichtigkeit die biblische Heilsgeschichte damals war, war diese Aussage ein Aufstand gegen Gott, sein Wort, sein Handeln und Wirken seit Abraham und Sarah.
Und Paulus sagt: So ist Gott nun mal, komm damit klar.
Aber er ist noch nicht fertig: Hier ist auch nicht Sklave noch Freier. Nach der Heilsordnung greift Paulus die Sozialordnung an. Oben und unten, reich und arm, Sklave und Herr. Das war die Ordnung der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik zu seiner Zeit.
Und natürlich war es auch biblisch? War nicht Hagar Abrahams Sklavin? Gab es in den vielen Geboten Gottes nicht etliche, die den Umgang mit Sklaven regeln? Dann waren sie doch erlaubt, dann war das Gottes Wille, dass er Herren und Sklaven gibt.
Gilt nicht mehr, sagt Paulus, ist obsolet, überflüssig, überholt, vorbei. Wahnsinn, das muss sich für die Leute angehört haben, wie totales Chaos, völlige Anarchie. Sozialismus, Kommunismus, Revolution und Anarchie! Wie soll man ohne Sklaven Straßen und Häuser bauen, wie soll man ohne sie sein Haus putzen und seine Kinder erziehen, wie sollen Schiffe fahren und Äcker bestellt werden ohne sie?
Und in der Tat, das wurde kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Während sie Kirche sich tatsächlich bald fröhlich der jüdischen Heilsgeschichte bediente, als sei sie schon immer damit gemeint gewesen, war das Christentum zwar bei Sklavinnen und Sklaven beliebt, aber die Sklaverei blieb noch lange erhalten.
In den Vereinigten Staaten bis zum Bürgerkrieg, auch hier in Schleswig-Holstein gab es die Leibeigenschaft auch noch bis ins 19. Jahrhundert. Und trotzdem setzte sich diese kühne revolutionäre Vision von Paulus durch. Es gibt keine Sklaven mehr, jedenfalls nicht in der christlichen Welt. Was damals undenkbar war, ist heute eine Selbstverständlichkeit.
Aber Paulus ist noch nicht fertig: Hier ist nicht Mann noch Frau, schreibt er zum Abschluss. Was für ein wagemutiger Dreisprung. Erst sägt er die Heilsordnung ab, dann legt er die Sozialordnung nieder, und jetzt, man traut seinen Ohren nicht, legt er die Axt auch noch an die Schöpfungsordnung.
Ja ist der Mann komplett wahnsinnig geworden? Zumal ein Blick in den griechischen Originaltext alles noch viel schlimmer macht: Da steht nicht mal Mann oder Frau, sondern männlich und weiblich. Es gibt nicht mehr männlich oder weiblich, sondern alle eins in Christus.
Wenn nach der theologischen Heilsordnung, die ja nur für Gläubige Relevanz hat, die Sozialordnung dran ist, die ja alle betrifft, aber die man ja immer noch irgendwie in ihrem geschichtlichen Umfeld je und je anpassen kann, nun die ganz natürliche Schöpfungsordnung angegriffen wird, die von Anbeginn der Welt gilt, die Tiere ja sogar Pflanzen mitbetrifft, dann ist es völlig OK, erst mal tief durchzuatmen.
Ich meine: Adam und Eva irgendwie gay und queer und die Menschheitsgeschichte ist gelaufen. Weiß Paulus da eigentlich, was er da schreibt? Und ist das wirklich noch christlich?
Treten wir kurz zurück.
Wochenspruch: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Das sagt nicht Paulus, sondern Johannes. Also das kann man schon raushören, dass der Glaube die Welt überwindet, ihre Ordnungen aufhebt, sich eben nicht den Gesetzen der Welt unterwirft, sondern sie überwindet. Also auch Religiöse, Soziale und sogar natürliche Ordnungen. Kann man jedenfalls so lesen.
Und das Evangelium? Da lässt sich Jesus auf eine kanaanäische Frau ein. Und sie überwindet mit ihren Glauben auch die Unterschiede zwischen Juden und Griechen zwischen Herren und Sklaven und Männern und Frauen. Und Jesus heißt das gut.
Es gibt sie also, die unglaubliche Kraft im Glauben, in der Taufe, die in der Lage ist Jahrhunderte alte Ordnungen, ja selbst Dinge, die von Anbeginn der Schöpfung galten in Frage zu stellen und obsolet zu machen.
Das kann einem schon Angst machen. Das Christentum als revolutionäre Ideologie, wo doch Kirchen und christliche Parteien oft konservativ waren, das ist mindestens irritierend. Worauf soll man sich noch verlassen?
Und genau darum geht es: Verlasst euch nicht auf die Welt, verlasst euch nicht auf Gesetze, Ordnungen und Regeln. Verlasst euch auf Gott und seinen Geist. Das braucht Mut. Das braucht Vertrauen.
Aber so, wie die Christen es geschafft haben, die alten jüdischen Gesetze loszulassen, die ihnen eine Art Heilsgewissheit gaben, Heimat und klare Regeln, Ohne Angst vor Gottes Zorn, so wie sie es geschafft haben, die Sklaverei abzuschaffen, und wie sie aktiv am Bau eines Sozialstaates beteiligt waren, der für alle lebenswerter ist.
So sind es auch Christen, die Anwälte der Frauenbefreiung sein müssen, ja überhaupt vorne dabei sind, wenn es darum gehen sollte, Menschen die anders lieben oder anders empfinden, als es lange als natürliche Ordnung galt, diese Menschen als Menschen und Geschwister mit ihrem Anderssein akzeptieren.
Und ihnen beizustehen, wenn sie angefeindet werden, und ihrem Wunsch nach Sichtbarkeit mit Verständnis zu begegnen, ja sie darin womöglich sogar zu unterstützen.
Weil der Traum von Paulus, der grandios hier am Ende des dritten Kapitels des Galaterbriefes steht, noch nicht ausgeträumt ist. Es sind noch zu viele Unterschiede da, es gibt noch so viel richtig und falsch. Und so wenig Toleranz und noch weniger Akzeptanz.
Verlassen wir uns auf Gott. Er erträgt uns ja auch. Nein noch mehr: auch er ist den Weg von Toleranz zu Akzeptanz gegangen, und hat uns lieb als seine Kinder. Das gibt uns Halt, auch in Veränderungsprozessen.
Denn unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Amen

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