Zwei Menschen, die sich lieben, haben geheiratet, das ist ein Grund Glückwünsche zu senden. Aber in diese Glückwünsche mischen sich Tränen, Tränen des Zorns. Denn die Adresse ist ein Gefängnis in der Türkei.
Es geht um Dilek Mayatürk und Deniz Yücel, letzterer sicht im größten Gefängnis der Türkei in Einzelhaft. Weil er journalistisch gearbeitet hat. Vorgeworfen werden ihm Terror, Spionage, Verrat – bislang wurden für keinen der schweren Vorwürfe Beweise vorgelegt, die rechtsstaatlichen Anforderungen standhalten könnten.
Natürlich ist Yücel unbequem. Er nervt. Er provoziert. Er polemisiert. Das ist sein Job. Wenn hierzulande mit Häme reagiert wird, weil er in einer Kolumne in einer satirischen Aneignung der Befürchtungen rechtspopulisticher Angstmacher das Aussterben der Deutschen feiert – dann ist das vielsagend für den geistigen Horizont und die moralische Verkommenheit nicht Yücels, sondern seiner Kritiker.
Denn natürlich ist Yücel einer, dem man widersprechen kann, darf und manchmal muss. So etwas gehört sich in einer Demokratie. Es ist zu feiern, dass es Türken gibt, die so deutsch sind, dass sie antideutsche Polemiken schreiben können. Selbst Hassmails auf seine Artikel nimmt er mit Humor und ist einer der Gründungsväter von HatePoetry, einem Format, dass den Ausländerhass hinter aller Kritik entlarvt und auf die große Bühne holt.
Aber ins Gefängnis gehört er nicht. Nicht in ein deutsches, nicht in ein türkisches. In gar keines. Und bei allem Glück, dass man dem jungen Paar wünscht treibt es mir die Zornestränen ins Gesicht, dass sie heiraten müssen, um sich überhaupt sehen zu dürfen. Es ist wie aus einer längst vergangenen Welt, dieses heiraten müssen – das ist so dermaßen 50er, dass es im 21. Jahrhundert einem vorkommt, als hätte jemand auf Schwarz-Weiß-Fernsehen geschaltet.
Wir diskutieren hier #Ehefüralle, wir wollen, dass jeder heiraten darf, der es will – und einer von uns, nur weil er seinen türkischen Pass nicht rechtzeitig abgegeben hat, muss heiraten um überhaupt ein grundlegendes Menschenrecht gewährt zu bekommen, den Menschen zu sehen, den er liebt. Auch sie muss jetzt heiraten, um ihn sehen zu können.
Damit wird dem Paar alles genommen, worauf sie ein Recht haben: Eine eigene Entscheidung darüber, wann sie heiraten wollen, wo sie heiraten wollen, wen sie einladen wollen, wie sie feiern wollen. Wo sie ihre Hochzeitsnacht verleben wollen. Alles, alles bestimmt der Staat. Bestimmen die Umstände. Es ist rührend, wie beide das Beste daraus machen, sich Gedichte schreiben und der Tristesse mit Liebe und Humor sogar etwas Romantik abgewinnen.
Die Tränen schlucken wir deshalb tapfer runter, den Zorn aber nicht. Die Türkei muss ihren Bürgern die Menschenrechte gewähren, das ist Pflicht und nicht Kür. Das gilt bei Meinungs- und Pressefreiheit genauso wie bei humanen Regelungen für den Strafvollzug. Das gilt für Deniz Yücel wie für alle anderen politischen Gefangenen.
Deutschland muss diese Fragen, weil eben auch unsere Staatsbürger davon betroffen sind, zum Thema machen, und darf sie nicht unter einem achselzuckenen „Andere Länder, andere Sitten“ abhaken. Man muss der Türkei erklären, dass das, was sie tut, nach unserem Recht strafbar ist: Nötigung, Freiheitsberaubung von Bundesbürgern.
Deniz Yücel will aber keine politische Lösung, keinen Gefangenenaustausch mit türkischen Spionen. Er will juristisch geklärt haben, dass er unschuldig ist, will weiter in die Türkei reisen und dort arbeiten können. Er hält am rechtsstaatlichen Ideal der Türkei fest, egal wie oft es schon verraten wurde. Deutschland tut gut daran, die Türkei auch immer wieder an dieses Ideal zu erinnern, und dessen Umsetzung zu verlangen.
Heidelbaer