Liberale Geisterfahrt

Damit haben die wenigsten Beobachter gerechnet: Die Jamaika-Sondierungen scheitern an der FDP. Die Partei, die immer für eine pragmatische Regierungsbeteiligung stand, spielt plötzlich die Karte der Prinzipientreue. Das könnte man lobend anerkennen. Wenn es nicht so verlogen wäre. Lesen wir selbst:

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Es ist schon fast drollig: Die FDP redet von Grundsätzen. Man fragt sich sofort: Welche denn? Sind die Sondierungen am NetzDG gescheitert, am Veto Lindners gegen Überwachungsstaat und Zensur? Da hätte er mit den Grünen doch Verbündete gehabt. Oder am Nein der Kanzlerin zur Abschaffung des Soli? Da hat sie doch laut CSU schon nachgegeben! Was offenbar das Problem war: Lindner überholte Seehofer rechts in der Flüchtlingsfrage. Ist das also „alles wofür wir Jahre gearbeitet haben“? Eine explizit illiberale Flüchtlingspolitik?

Ach ja, und dann war da noch der Satz von den Wählern, die man „nicht im Stich lassen“ würde. Eine Floskel, die auch Christian Lindner in seinem persönlichen Statement bemüht:

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Das ist nach meiner Wahrnehmung wirklich Bullshit. Im Wahlkampf punktete die FDP mit der Forderung nach Steuersenkung und einer Begrenzung des Überwachungsstaates. Mit klassischen liberalen Themen: Weniger Staat, mehr Bürgerrechte. Offenbar hat Lindner Bürgerrechte und rechte Bürger verwechselt, wenn er vom Wählerwillen faselt. Denn den eigentlichen Grund, FDP zu wählen, verschweigt er: Die Wähler wollten keine Groko mehr. Und sie wollten unbedingt die anti-liberalen Kräfte AfD und LINKE aus der Regierung draußen halten.

Und da konnte man nur FDP wählen, denn wenn die FDP draußen bleibt, bestand die Gefahr, dass bei starker AfD nur die Alternative GroKo oder R2G bleibt. Wer beides nicht wollte, wählte FDP. Mit der starken FDP war also vor allem eines verbunden: Ein Regierungsauftrag. Den wegzuwerfen bedeutet nicht dem Wähler gegenüber nicht Treue, sondern Verrat. Der flotte Spruch: „Lieber gar nicht regieren als falsch“ täuscht nur über eine anti-liberale Geisterfahrt hinweg: Mit dem Aus für Jamaika gibt es jetzt eigentlich nur noch die Option Fortsetzung der Großen Koalition oder Neuwahlen und eine linke Mehrheit mit Rot-Rot-Grün. Genau das, was FDP-Wähler verhindern wollten.

Was dabei besonders bitter ist: Was alle Putintrolle vereint nicht konnten, hat der Narzissmus von Christian Lindner geschafft: Die Kanzlerin ist schwer beschädigt, sie wird womöglich über das Scheitern von Jamaika stürzen. Damit hätten ausgerechnet die Liberalen, deren außenpolitische Kompetenz einst ein Markenzeichen war, auch eine anti-europäische Geisterfahrt angezettelt, die Deutschland nachhaltig schaden könnte.

Liberal hatte ich mir anders vorgestellt.
Heidelbaer


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