Damengambit

Selten war Politik so spannend wie dieser Tage. Eigentlich müsste man Christian Lindner dankbar sein, dass er der logischten aller Konsequenzen aus dem Wahlergebnis vor jetzt genau zwei Monaten eine klare Absage gegeben hat. Kein Jamaika.
Über die Gründe kann man schmunzeln: Das Sondierungspapier sei im Grunde eine Groko mit ein wenig grünem Schnittlauch gewesen, sagte er im heute-journal. Donnerlittchen, denkt man, was haben die liberalen Verhandler denn die ganze Zeit gemacht, wenn die Sozis im Papier vorkommen, obwohl sie gar nicht am Tisch saßen, und Taktikfüchse wie Kubicki keine messbaren Spuren hinterließen.

Aber es war noch schlimmer, wenn man Lindner glauben darf: Die FDP Delegation fühlte sich regelrecht gedemütigt, sagte er der FAZ. Huch? So viel Gefühl bei den coolen Liberalen? Wo kommt das denn her? Meine Vermutung ist, dass es enttäuschte Liebe war. Im Wahlkampf sah es so aus, als wollten CDU und SPD nach der Groko sich voneinander wieder absetzen. Man versuchte (mit bescheidenem Erfolg) an den Lagerwahlkampf schwarz/gelb versus rot/grün wieder anzuknüpfen. Absehbar kamen die starken Ergebnisse der Linken und der AfD dazwischen. Es reichte nicht mal mehr für rot-rot-grün. Trotzdem gingen die liberalen Sondierer in die Verhandlung mit der Erwartung: Wir Gchwarz-Gelben werden die Grünen schon weichkloppen. Diese Erwartung wurde massiv enttäuscht, die Gespräche verliefen völlig anders: nämlich die Schwarz-Grünen versuchten die Gelben weichzukloppen. Als man dann als Liberale sogar CSU Positionen übernahm, um in der Flüchtlingspolitik die Verhältnisse mal umzudrehen, und selbst Seehofer Einigungsbereitschaft mit Özdemir und Co signalisierte, gingen die Lichter aus. Ja, das war eine Demütigung. Und ist ein Zeichen dafür, wie sehr sich die politische Landkarte verschiebt.

Und wie geht es jetzt weiter? Natürlich geistert jetzt das GroKo Gespenst durch die Gegend. Aber niemand will es eigentlich. Die AfD würde zur Oppositionsführerin mit allen Rechten und aller Publicity, die daran hängt. Genau so will man sie nicht in Szene setzen: Als die eigentliche Opposition in einer Konsensdemokratie der merkelschen Alternativlosigkeiten. Zudem ist die Gefahr groß, dass wie in Österreich die einst bestimmenden Volksparteien zugrunde gehen. Allerdings sind in Frankreich die Sozialisten auch ohne GroKo in die politische Bedeutungslosigkeit gestürzt, dennoch: die Angst in SPD aber auch CDU, dass eine Notlösung zu einer Dauereinrichtung wird, die beiden Parteien ihr Profil und damit ihr Wählerpotential kostet, ist berechtigt.

Wie könnte die SPD es dennoch schaffen? Nur ohne Schulz und stattdessen mit Scholz? Aber den 100% Kandidaten einfach abservieren ist gegen die Basis nicht zu machen und würde den Charakter der opportunistischen Mehrheitsbeschaffer nur verstärken. Außerdem will auch Scholz lieber Kanzler als Vizekanzler werden. Sonst hätte er schon diese Wahl kandidieren können. Und seit neuestem wird eine noch größere Koalition ins Gespräch gebracht: Kenia, also Schwarz, Rot, Grün. Die „dümmste Idee der Woche“ wie Die Welt-Mann Ulf Poschard twittert. Und allseits wird schon abgewunken. Denn alle Probleme der großen Koalition würden ja nur noch größer. Noch weniger Opposition neben der AfD, noch mehr Konsensdemokratie, noch mehr Profilverlust.

Schade eigentlich. Denn es gäbe einen eleganten Move, der die Sache interessant machen könnte: Ich nenne ihn das Damengambit. Rot-Grün müsste sich einigen, dass es eine Koalition nur unter einem neuen Kanzler gebe: Martin Schulz. Nein, er kann Kanzler nicht besser als Merkel, aber er hat ihr gegenüber einen Vorteil: Er ist anders. Er ist kantiger, ihm fehlt gänzlich diese Pastorentochternettigkeit, mit der Merkel das Land hervorragend regiert hat, aber geradezu eine Sehnsucht nach mehr Konflikt, mehr Schärfe, mehr Kontur geweckt hat. Das kann Schulz, wenn auch längst nicht so intelligent und eloquent wie ich mir das wünschte.

Der Kanzlerwechsel gäbe der Beteiligung der Grünen ihren Sinn, denn dazu braucht man sie wirklich. Die CDU hätte die Chance sich zu erneuern, könnte aber in ihren Ressorts weiter gestalten. Grün hätte hervorragende Leute für einige Ressorts, die SPD hätte mit der Kanzlerschaft die Aufgabe zu zeigen, ob Personalwechsel auch Politikwechsel heißt.

Natürlich wird das alles nichts. Die CDU wird sich nicht als stärkste Partei der Regierung von den beiden kleineren enthaupten lassen. Sie SPD ist sich längst nicht mehr sicher, ob sie einen Kanzler Schulz wirklich will oder der sie am Ende womöglich blamiert. Und die Grünen wollen nicht zum fünften Rad am Wagen werden, einen Partner, auf den man im Notfall auch verzichten kann.

Vor allem könnte die SPD die Demütigung erleben, die die FDP schon durchmachen musste: Dass die Grünen, die sie als ihre natürlichen Verbündeten in so einer Koalition sähe, schon allein durch die erreichten Ergebnisse der Jamaika-Sondierung plötzlich gemeinsam mit der CDU den Sozialdemokraten so viele Kompromisse abfordern, dass auch da irgendwann die Lichter ausgehen.

Also wird es Neuwahlen geben. Oder eine Minderheitenregierung. Oder doch eine Groko. Man weiß es nicht. Aber über die Möglichkeit eines kenianischen Damengambits nachgedacht zu haben, hat Spaß gemacht.

Heidelbaer


2 Gedanken zu “Damengambit

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