#BBAföG – Bedingungsloses Bafög – geht da was? Die Forderung ist alt: BAföG für alle, das wollen Studierendenvertreter seit es überhaupt Bundesausbildungsförderung gibt. Nur mehrheitsfähig war das nie: Sozialleistungen aus der Gießkanne sind immer verdächtig, und außerdem war unser Subsidiaritätsprinzip heilig. Solange Eltern das Studium der Kinder finanzieren können, muss und darf der Staat nicht einspringen.
Man kann auch viel Sinnvolles daran finden: Warum soll man den Kindern der Superreichen noch auf Kosten der Allgemeinheit das Studium finanzieren? Werden auch Studierende dann womöglich für’s Nichtstun bezahlt, während sich junge Menschen in Ausbildungsberufen ihren sparsamen Lohn hart erarbeiten müssen? Den dann auch nicht die Allgemeinheit zahlt, sondern der Betrieb?
Dennoch ist das System, so wie es im Moment läuft, ziemlich kaputt: Denn keineswegs trifft es die Superreichen, sondern wie in diesem Staat so üblich, die Mittelschicht. Denn die Freibeträge sind bescheiden: 1715 für verheiratete Eltern – das deckt wirklich nur die geringeren Einkommensschichten ab. Danach gelten Eltern als reich und müssen für ihre Kinder zahlen. Ich habe das grob für unsere Familie durchgerechnet, das sind mal locker 437 Euro pro Monat. Für das erste Kind. Oder die Leasingrate für einen Mercedes Cabrio.
Das soll jetzt nicht das große Wehklagen werden. Es geht mir gut, ich habe einen Beruf der mir Spaß macht und von dem ich leben kann, ich bin verbeamtet auf Lebenszeit und habe Anspruch auf Altersversorgung. Selbstverständlich gönne ich meinen Kindern das Studium und den Kindern ärmerer Leute das BAföG. Aber es wäre gelogen, wenn man behauptete, solche Kosten seien ohne Abstriche in der persönlichen Lebensqualität zu tragen.
Ich höre das aus dem Kollegenkreis, von Lehrern, Ärzten, Apothekern, Handwerkern und Freiberuflern: Wenn du drei Kinder hast, und alle studieren, kannst du dir keine weiteren Hobbies leisten. Studierende Kinder sind kein Armutsrisiko. Sie sind nur ein verdammt teures Hobby.
So ist es aber nicht gemeint. Im Hintergrund steht eigentlich ein Deal: Eltern die ihren Kindern das Studium finanzieren, investieren auch in ihre eigene Alterssicherung: Denn das Subsidiaritätssystem schlägt zurück, wenn die Eltern alt, womöglich pflegebedürftig werden, dann werden die Kinder in Anspruch genommen. Idealerweise haben sie dann auch einen schönen Job in der Mittelschicht, und können bis auf die Freibeträge in Anspruch genommen werden.
Und wenn es klasse läuft, dann zahlst du für deine pflegebedürftigen Eltern und die studierenden Kinder gleichzeitig. Dann hat man gleich mehrere teure Hobbies. Und zahlt trotzdem noch Steuern. Und andere werden davon bezahlt. Die Pflege kinderloser Senioren. Das Studium sozialschwächerer Familien. Und so entsteht das Gefühl, wir zahlen doppelt. Oder dreifach. Und andere mit gleichem Einkommen fahren Mercedes Cabrio. Als Hobby.
Natürlich ist alles komplizierter, es gibt Kindergeld, Kinderfreibeträge, und steuerliche Entlastung für Pflege Angehöriger. Aber es ist auch auf einer anderen Ebene komplizierter geworden, was den familiären Generationenvertrag zum Wackeln bringt. Weil viele Selbstverständlichkeiten heute nicht mehr gelten. Von anderen Selbstverständlichkeiten abgelöst wurden.
Zum Beispiel, dass Eltern gerne das Studium der Kinder bezahlen, und problemlos auf andere teure Hobbies verzichten. Eltern sind älter geworden, wenn die Kinder studieren, haben sie in der Regel einen Lebensstandard entwickelt, von dem sie nicht so einfach wieder zurückstecken können. Dazu kommt, dass die Kinder heute völlig frei in der Studienwahl sind: Die Eltern werden nicht gefragt, sollen es aber bezahlen. Das ist schlecht für die Akzeptanz.
Als eindrückliches Beispiel kannte ich Töchter relativ streng-pietistischer Eltern, die es ablehnten, dass Frauen Pastorinnen werden. Wenn die Theologie studieren wollten, hätten sie die elterliche Studienfinanzierung einklagen müssen. Das hätte dann ein schwieriges Verhältnis wohl endgültig ruiniert. Aber weniger krasse Beispiele kenne ich massenhaft, kaum einer unter meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen bekam den vollen Betrag von den Eltern, den das BAföG Amt ausgerechnet hatte.
Die Konsequenz: Nicht nur die Eltern studierender Kinder in der Mittelschicht standen schlechter da als die ohne – auch die Kinder hatten weniger monatlich auf dem Konto als die Millionärskinder – oder die glücklichen, die den BAföG Höchstsatz kassierten. So gingen fast alle jobben, um die Lücke zu füllen. Und damit zum nächsten Problem im System: Die systematische Erziehung zum Betrug.
Subsidiarität heißt ja auch: Dein eigenes Einkommen wird auch voll angerechnet. Die Freibeträge sind gering. Der Witz ist: Alle Angaben, die du als Student machst, wurden nicht überprüft. Es gab keinen Datenaustausch zwischen Finanzamt und BAföG-Amt. Was die Sache auch so umständlich machte, Steuerbescheide mussten in Papierform vom Finanzamt zu den Eltern, von den Eltern zum Kind, vom Kind zum BAföG-Amt geschickt werden.
Und der Betrug wurde zum Normalfall. Kaum ein Student gab sein eigenes Einkommen noch sein eigenes Vermögen (wenn die Oma schon mal was für die Zukunft vermacht hat oder so) beim BAföG-Amt korrekt und vollständig an. Und niemand kontrollierte die Angaben. Bankgeheimnis, Datenschutz, Behördenbehäbigkeit.
Formal ist das Sozialleistungsbetrug, und der kann mit Gefängnis geahndet werden. In Frankfurt hatte es das mal gegeben, dass Daten abgeglichen wurden, über zwei Drittel der Studenten mussten BAföG Rückforderungen bezahlen, von einer Strafverfolgung wurde meines Wissens abgesehen, weil man den halben akademischen Nachwuchs kriminalisiert hätte.
Bestraft wurden stattdessen die Ehrlichen: Als Theologiestudent dachte ich: Die Pastorenkarriere mit Betrug zu beginnen, sei vielleicht doch nicht so smart. Deshalb gab ich alles an. Prompt wurde mir nicht nur alles mögliche vom BAföG abgezogen, was eine empfindliche finanzielle Strafe darstellt, sondern ich wurde auch mit Formblättern zugeschüttet, weil du nicht nachweisen musst, was du nicht verdienst, aber sehr wohl nachweisen musst, was du verdienst.
Sobald du also ein Sparkonto angibst, wollen sie jedes Jahr die Kontoauszüge sehen. Sobald du einen Studijob angibst, wollen sie jedes Jahr die Verdienstbescheinigungen sehen. Sagst du: Kein Konto, kein Job – sagen sie: OK, hier ist Ihr BAföG. Keine weiteren Fragen. Und? Was passiert wenn richtiges Verhalten bestraft und falsches Verhalten belohnt wird?
Und das mit einem unglaublichen Verwaltungsaufwand. Fast jede Unistadt hat ein eigenes Studentenwerk mit einem eigenen BAföG-Amt, mit Sachbearbeitern von A-K und L-Z oder noch kleinteiliger organisiert. Berge von Papier werden bewegt, geprüft, berechnet – und das ganze ist zu 66% Betrug. (Dass auch Eltern alles, was nicht vom Steuerbescheid erfasst wird, ebenfalls vor dem BAföG-Amt verschweigen können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, kommt noch hinzu).
Schlechter kann Steuergeld nicht angelegt werden, sollte man meinen. Das Steuergeld ist doch dazu da, den Studierenden zugute zu kommen, und nicht dazu da, zu verhindern dass es an Studierende ausgezahlt wird. Wieviel mehr könnte ausgeschüttet werden, wenn man die Verwaltungskosten umlegt?
Und schließlich noch einmal: Welches Bild von Staat gewinnt unsere heranwachsende akademische Elite? Unser Staat begegnet ihnen als misstrauischer, vorsintflutliche organisierter Verwaltungsmoloch, der am Ende die Ehrlichen bestraft und die Betrüger belohnt (kleiner theologischer Seitenhieb: Römer 13,1-7; 1. Petrus 2,13f).
Spätestens hier merkt doch jeder: Das System ist total kaputt. Es funktioniert nicht. Es besteht dringender Reformbedarf, und zwar nicht indem man hier um ein paar Euro einen Bedarf hochrechnet oder einen Freibetrag erhöht. Sondern grundlegend: Wollen wir nicht BAföG für alle?
Wir geben nichts auf, um das es schade wäre. Doch was könnte schief gehen? Es könnten ein paar Superreiche auch noch Geld der Allgemeinheit bekommen. Geschenkt. Diese Leute zahlen so viel Steuern (und wenn nicht, ist da das Problem, nicht beim BAföG), dass der Rückfluss von ein paar Hundertern im Monat der Allgemeinheit nicht wirklich weh tut.
Aber dafür bekommen gerade die endlich Geld, die es vorher nicht bekommen haben: Die Ehrlichen, die deren Eltern nicht zahlen können oder wollen, die die mit Antragsformularen und Behördenwillkür nichts anfangen können (und trotzdem gute Studenten sein können). Die fleißigen Zuverdiener.
Dass man damit studentisches Nichtstun sponsern würde, halte ich für ein Gerücht. Man kann den BAföG Bezug wie heute auch schon zeitbegrenzen. So läuft es in anderen Ländern auch, das ist transparent, effizient und unbürokratisch. Die Idee, Leistungsnachweise zu fordern ist nachvollziehbar, aber wieder sehr bürokratisch gedacht.
Und es ist motivierend: Hier bekommst du drei bis fünf Jahre geschenkte Zeit. Mach was draus. Wir lassen dich nicht verhungern, und du investierst deine Zeit in deine eigene Bildung, Karriere, Projekte. Und das bei jungen, qualifizierten, motivierten Leuten. Ich vermute, dass die Zahl der „Bummelstudenten“ sogar rapide abnimmt. Wenn stimmt, was man über Motivation von Menschen erforscht hat.
Und die Finanzierung? Neben den gesparten Verwaltungskosten kann man beim BBAföG mit gutem Recht die steuerliche Subventionierung von Studentenjobs abschaffen. Grundbedarf ist gesichert, wer jobbt, um noch mehr Geld zu haben, darf auch Steuern zahlen. Und das werden sie tun.
Natürlich wird man auch die Gerechtigkeitsfrage stellen müssen: Und was ist mit denen, die in betrieblicher Ausbildung stehen? Ist dem Staat das gar nichts wert? Auch das duale System der Berufsausbildung ist ein in die Jahre gekommenes Erfolgsmodell. Ob hier auch Reformbedarf besteht, wäre ein eigener Beitrag.
Und wenn man das BAföG wirklich als Ausbildungsvergütung an alle Jugendlichen zahlen würde, wäre das ja der Anfang von der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Und soweit sind wir in Deutschland noch nicht…