Foto von der Kundgebung in Flensburg, Rechte beim Autor

Es hat alle Veranstalter überrascht. Wie es bei uns in Flensburg war, so war es überall: Angemeldet wurden die Demonstrationen oft von kleinen, teilweise randständigen Gruppen, und was kam war: das Volk. Anders kann man es nicht mehr nennen, wenn an einem Wochenende vermutlich eine ganze Million Menschen auf den Straßen waren.

Beinahe rührend war deshalb die Reaktion derer zu beobachten, die sich sonst immer gerne als „das Volk“, „die Stimme der schweigenden Mehrheit“ oder dergleichen verstanden. Dass sie sich zwischen: „Regierungskundgebung gegen die Opposition“ und „Extremistischen Splittergruppen, die die Menschen täuschen“ nicht einigen konnten, sagt eigentlich schon alles.

Jacques Schuster von der Welt verstieg sich sogar zu der Beschimpfung, die Demonstranten seien „überspannt“ und „geschichtsvergessen“ wenn sie sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus verglichen (was natürlich kompletter Blödsinn ist, weil es der ganze Impetus der Demonstrationen ist, eben nicht bis zu einer „Machtergreifung“ zu warten, von der die AfD offensichtlich träumt).

Es bleibt festzuhalten: Seit den Lichterketten 1992 hat es keine so großen Kundgebungen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus mehr gegeben. Und damals waren nach einem Brandanschlag gegen türkische Mitbürger in Mölln, bei dem  die Mädchen Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz sowie ihre Großmutter Bahide Arslan ermordet wurden. Auch damals zählte man eine Million Teilnehmende in verschiedenen Städten Deutschlands.

Aber gerade deshalb reiben sich viele Beobachter die Augen. Warum strömen die Menschen auf die Straßen, und überfordern Veranstalter wie deren Kritiker gleichermaßen? Was war eigentlich passiert?

Eigentlich nichts – und fassungslose AfD-Politiker übertreffen sich in Bemühungen, das auslösende Ereignis herunterzuspielen. Aber der Geist ist aus der Flasche und will nicht mehr zurück. Passiert ist nichts: Kein Feuer, keine Toten, kein Mord, kein Anschlag. Es gab nur ein formloses Treffen von ein paar Funktionären der AfD, einigen Gestalten aus der Werte-Union und dann – das ist allerdings beachtlich – Leuten wie Martin Sellner, die als Galionsfiguren der der Identitäten Bewegung eindeutig rechtsextremistisch zu verorten sind.

Aber dennoch: Dass AfD’ler und Werte-Union Leute da wenig Berührungsängste haben, ist das jetzt die ganz große Meldung? Und dass sie über die Lösung des „Ausländerproblems“ reden, und ihnen dazu nur Abschiebungen im großen Stil einfallen, überrascht das irgendwen? Wenn doch selber der Kanzler auf dem Spiegelcover so zitiert wird?

Das besondere war – und ist! – dass der Anspruch des Treffens, das vom Recherche-Netzwerk correctiv! aufgedeckt wurde, tatsächlich war, einen „Masterplan“ zu entwerfen, die „Remigration“ nicht nur einer begrenzten Zahl abgelehnter Asylbewerber zu organisieren, sondern ganzer Bevölkerungsteile ohne, ja sogar auch mit deutscher Staatsbürgerschaft.

Was da ausgeheckt wurde, waren, und das wurde der Öffentlichkeit schlagartig klar, nichts anderes als Massendeportationen hier lebender Menschen, die man für nicht deutsch genug hielt. Mit Zügen, Flugzeugen, Lagern – dem vollen Programm.

Und das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Man kann der Meinung sein, dass man den Zuzug begrenzen müsse, man kann finden, dass kriminelle Ausländer leichter abgeschoben werden können müssen, man kann wünschen, das die Migration besser in dem Arbeitsmarkt ankommt. Über all das kann man diskutieren und unterschiedlicher Meinung sein.

Aber nie und nimmer, niemals, nie wieder darf in einem demokratischen Deutschland das dazu führen, dass Menschen massenhaft in irgendwelche Drittstaaten deportiert werden. Weggeschafft werden. Nur aufgrund ihrer Herkunft, eines fehlenden Passes oder der falschen Gesinnung.

Deshalb ist der Volksaufstand berechtigt, deshalb habe ich auch teilgenommen. Es ist uns Deutschen klar geworden: Die AfD brüllt nicht nur ausländerfeindliche Parolen, sie meinen das absolut bitter ernst. Dieser Partei ist nicht einmal ein Zipfel Macht anzuvertrauen, sie ist zu bekämpfen mit allen demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln bis hin zum Parteienverbot.

Die Lichterketten sind lange her, viel ist passiert seitdem, und manche fragten sich, ob Deutschland heute noch wie damals bereit ist, für Mitbürgerinnen und Mitbürger einzustehen, wenn sie bedroht werden. Das Wochenende hat gezeigt: Ja, das ist heute immer noch so. Und darauf kann man ein wenig stolz sein.

Heidelbaer

Eine Antwort zu „Volksaufstand gegen Rechts”.

  1. Avatar von Raphael Müller
    Raphael Müller

    Heidelbaer, danke für die Zusammenfassung, die mir wie aus dem Herzen spricht. Wie gut, dass Bürger:innen mit all ihren Unterschieden zusammenkommen und sichtbar und friedlich für das Einstehen, was uns hier in Frieden leben lässt: Demokratie und Menschenrechte.
    Raphael

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