Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
Klagelieder 3,22-23
Es hätte auch das Ende sein können.
Manchmal macht man diese Erfahrung. Im persönlichen Leben, in Beziehungen, aber auch im Job oder Betrieb. Man macht einen fatalen Fehler, und tut einen falschen Schritt, trifft eine dumme Entscheidung. Und das hätte es gewesen sein können.
Dann ist alles aus, und man hat es auch noch selbst verschuldet. Es wäre hart, aber leider nicht unverdient. Das Ende.
Deutschland machte diese Erfahrung 1945. Es hätte das Ende sein können, ja sein müssen. Man hatte die Nazis an die Macht gewählt, wer Widerstand leistete wurde vernichtet, man hat relativ tatenlos zugesehen, dass Millionen Mitmenschen aus ihren Häusern geholt wurden und letztlich ermordet wurden. Man hat sich in einen Krieg treiben lassen, der zig Millionen Todesopfer forderte, und in dem unfassbare Verbrechen begangen wurden.
Und dann brach die Front zusammen, und die ganze Gewalt, die man ausgeübt hatte, kam wie ein Echo zurück, mit Bombenteppichen auf die Städte, mit Vertreibungen im Osten, und niemand fand sich, der den Wahnsinn stoppte und eine Kapitulation unterschrieb. Stattdessen wurde das Land in den Untergang getrieben.
Das hätte das Ende sein können. Von Deutschland, dem deutschen Volk, der deutschen Sprache und Kultur. Der kalte Vernichtungswille, den Deutschland gegen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, ja ganz Osteuropa hegte, er hätte uns wegfegen können von der Landkarte und aus den Geschichtsbüchern.
Deportiert, vernichtet, vergast und verbrannt wäre nur Staub und Asche geblieben vom einstigen Land der Dichter und Denker.
Und ausgerechnet Israel, ausgerechnet die Juden überliefern uns im Monatsspruch diese Worte, weil sie selber Exil, Vertreibung und drohende Vernichtung erlebt und überlebt haben: Gottes Güte ist es dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sie ist neu jeden Morgen und seine Treue ist groß.
Ein Staunen ist das und eine tiefe Dankbarkeit, dass wir davongekommen sind. Dass es da Ende hätte sein können, aber durch die Gnade Gottes geht es weiter. Vielleicht kennen Sie das auch aus eigenem Erleben.
Und dann trifft man eine Entscheidung: Das passiert mir (hoffentlich!) nie wieder! Das war gerade saudumm von mir, das hätte das Ende sein können, und durch Gottes Gnade, Zufall oder unverschämtes Glück geht es weiter. Vielleicht auch, weil andere barmherziger waren als ich.
Gott, deine Treue ist groß, nie wieder wollen wir uns von dir abwenden, sagte Israel damals. Und auch wir Deutschen haben uns geschworen: Nie wieder.
Als Kirchen ist es unsere Aufgabe, jeden Sonntag neu die Gnade Gottes zu predigen, seine Barmherzigkeit und seine Treue zu verkündigen. Die politische Konsequenz daraus zu ziehen, das betrifft uns alle.
Diese Andacht erschien in den Amtsinformationen des Amtes Hürup Oktober 2024

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