Predigt zum Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lukas 15)

Geht es euch auch so? Manchmal merkt man, wie wichtig einem Dinge sind, wenn man sie plötzlich nicht mehr hat. Und leider ist es mit Menschen manchmal genauso. Gerade mit unseren Liebsten neigen wir oft dazu, wie blöde rumzustreiten, ihnen die fiesesten Sachen an den Kopf zu schmeißen, und all das Gute, was wir von ihnen haben als selbstverständlich hinzunehmen, ob es Eltern sind oder pubertierende Kinder, ob es die Partnerin, der Partner oder gute Freunde sind.

Aber wehe die sind weg. Wehe plötzlich ist da eine fiese Diagnose, oder ein genervter Kontaktabbruch eine Trennung oder womöglich sogar ein unerwarteter Tod.

Dann bricht es über uns hinein, die ganze Trauer das krasse Vermissen, und womöglich sogar Schuldgefühle: Habe ich dem andern meine Liebe vielleicht viel zu wenig gezeigt? Wusste er oder sie überhaupt, wie sehr ich geliebt habe?

Unserem Vater in der Geschichte, die Jesus erzählt hat, geht es ganz offensichtlich ähnlich. Er hat zwei Söhne, er hat offenbar auch einen großen Betrieb mit Knechten, Mägden, Ziegen und Kälbern, und doch ist es ein Familienunternehmen, wo jeder anpacken muss, damit es läuft. 

Natürlich liebt er seine beiden Söhne über alles, aber stressfrei läuft es in dieser Beziehung offensichtlich nicht. Und während der ältere die Zähne zusammenbeißt und durchzieht, bricht der jüngere aus und schmeißt hin. Haut ab. Lässt sich auszahlen und verschwindet.

Und plötzlich fehlt er. Ausgerechnet der Faulpelz, der Träumer und Trödler, der Chaot und Müßiggänger, über den man sich 1000mal aufgeregt hat. Der nie sein Zimmer aufgeräumt hat, immer zu spät zum Essen kam, der die Fliege an der Wand spannender fand als die Arbeit direkt vor seiner Nase. Der konnte einen wahnsinnig machen.

Doch nun ist er weg. Und fehlt. Er fehlt beiden, dem älteren Bruder wie auch dem Vater, und der Mutter sicher auch (es ist ein bisschen schade, dass sie nicht vorkommt, aber tatsächlich ist ganz viel mütterliches in den Vater mit hineingezeichnet, übrigens auch in dem berühmten Bild von Rembrandt).

Aber Bruder und Vater gehen unterschiedlich damit um. Der ältere Bruder macht den Schnitt, sagt: Das war ja auch zu erwarten, er ist ein Taugenichts, er hat den Betrieb genug gekostet, und letztlich war es eine gute Investition ihn auszuzahlen und loszuwerden, er wollte immer weg, jetzt ist er weg, und das ist für beide Seiten das Beste. Reisende soll man nicht aufhalten, aus den Augen, aus dem Sinn. 

Das ist ja spannend, oder? Denn eigentlich kann er seinen kleinen Bruder verstehen, ja, heimlich beneidet er ihn sogar. Denn er hat es offenbar nicht besser unter dem Vater, der offensichtlich gut darin ist, Arbeit zu verteilen, Regeln aufzustellen, Erwartungen zu formulieren – und es mit Wertschätzung, Anerkennung und Geschenken nicht so hat. Nicht einmal eine Ziege hast du mir gegeben, dass ich mit meinen Freunden feiern kann. Hört, hört.

Und von wegen aus dem Sinn. Der Bruder beschäftigt ihn. Der lebt, was er gerne würde: Einmal ausbrechen, einmal richtig die Sau rauslassen, einmal richtig feiern, saufen, vögeln (Fällt es euch auf? Das mit den Huren wird nicht erzählt, es ist nur in der Phantasie des älteren Bruder so). Und verrät ihn – denn so ganz heimlich wünscht er sich das auch. Aber dann reißt er sich zusammen. Der Vater. Der Betrieb. Die Leute.

Weil ihm Wertschätzung fehlt, weil ihm seine Sehnsüchte unerfüllt bleiben, wertet er sich selber damit auf, NICHT so zu sein, wie sein Bruder. Er baut ein Schwarz-Weiß und Gut-Böse Schema auf, das übersieht, dass er wie sein Bruder den Wunsch hat, auszubrechen, und dass sein Bruder genauso wie er den Vater liebt und Sehnsucht nach Heimat und Zuhause hat.

Anders der Vater. Er kann den Verlust des jüngeren Sohnes nicht verdauen. Er trauert ihm nach, er kann nachts nicht schlafen, weil er an ihn denkt und hofft, dass es ihm gut geht, aber fürchtet, ihm könnte etwas zugestoßen sein. Und dann ist die Nacht endgültig gelaufen. Ob er sich erlaubt hat zu weinen? Ob er sich Vorwürfe gemacht hat? Oder war da nur Leere?

Ich kenne das aus vielen Familien, die einen Verlust erlitten haben. Manchmal hat das verlorene Kind viel mehr Raum im Herzen und im Leben der Familie als die überlebenden. 

Ich stelle mir den Vater gerade so vor, wie einen Patriarch in den 50er Jahren, ein Sohn ist im Krieg geblieben, und nicht nur weil jetzt zwei die Arbeit von Drei machen müssen, sondern auch, weil die Trauer unbewältigt bleibt, ist es ein freudloses Dasein.

Denn warum sollte man feiern? Wo doch der Bruder tot ist? Wo doch so viel zu tun ist? Wir müssen überleben, darum geht es, wir müssen schaffen und schaffen, und den Betrieb am Leben halten damit wir und Knechte und Mägde genug zu essen haben.

Daran konnte sich sogar der jüngere Sohn erinnern, dass Knechte und Mägde es bei Papa immer gut hatten. Vielleicht will er sogar lieber Knecht sein als Sohn. So sagt er es ja, zwei Mal, einmal zu sich selber, und auch explizit dem Vater. Ja, er macht das mit dem gesündigt haben und dem nicht wert sein, aber die Aussage steht da: Lass mich lieber Knecht sein als Sohn.

Vielleicht treffen sich die beiden Brüder da: Die haben es gut, die Knechte. Die kriegen ihr Essen und ihr Geld, und damit können sie machen was sie wollen. Sie müssen nicht Papi fragen, wenn sie feiern wollen. Nach Feierabend gehen sie vom Hof und leben ihr eigenes Leben. Sicher nicht mit Saus und Braus, aber es ist ihrs.

Sohn sein ist nicht immer einfach: Es ist mit Verantwortung verbunden. Und manchmal ist Nähe nicht so toll und großartig, manchmal ist eine gewisse Distanz leichter für eine Beziehung. Manche Kinder verstehen sich mit ihren Eltern bestens, seit sie aus dem Haus sind.

Aber daraus wird bekanntlich nichts. Aber während wir die Geschichte immer als Bekehrungsgeschichte des jüngeren Sohnes hören, findet auch eine Bekehrung des Vaters statt. Endlich, als er seinen jüngeren Sohn am Horizont sieht, schafft er es seiner Liebe Ausdruck zu verleihen.

Er, der ganz offensichtlich Mühe hatte, Lob, Anerkennung, Wertschätzung und Liebe zu vermitteln, wenn es um seine Söhne ging, überhäuft den Heimkehrer förmlich damit. Er umarmt ihn, er zieht ihm festliche Kleider an, er lässt das gemästete Kalb schlachten, er steckt ihn einen Ring an den Finger und Sandalen an die Füße.

Das volle Programm. Es bricht förmlich aus ihm heraus. Es ist kein Wunder dass der ältere Sohn findet: Jetzt übertreibt er es aber. Massiv. Wie soll er bitte damit klarkommen. Vor seinem inneren Auge hatte der Bruder alles, was er nicht hatte, wovon er geträumt, es sich aber nicht erlaubt hatte.

Er blendet aus, wie übel das geendet hat, und wenn, dann hatte der Bruder das auch verdient. Und nachdem er sein Geld, seine Freiheit, seinen Spaß gehabt hatte, kriegt er jetzt auch noch die ganze Liebe, Zärtlichkeit, Wertschätzung des Vaters, von der man überzeugt war, dass Papa das gar nicht kann. So überschwänglich nett, liebevoll und großzügig sein.

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber man schmeckt förmlich die Galle auf der Zunge, wenn man sich klar macht, was in diesem Mann gerade vorgeht. 

Aber dies ist eine Bekehrungsgeschichte. Der Vater hat endlich zu seiner Rolle gefunden. Er ist nicht nur der harte Herr, der seine Söhne zur Anständigkeit, zu Fleiß und Tugend erzieht. Er ist endlich auch der Papa, der dazu steht, dass er seine Söhne liebt.

Und so lässt er den älteren Sohn nicht draußen im Regen stehen. Endlich. Er geht raus, er redet über seine Gefühle, er spart nicht mit Wertschätzung und Zusagen. Alles was mein ist ist dein. Und ist es nicht förmlich ein Auferstehungsfest, das wir feiern? Zwei Mal sagt er, dass der Bruder tot war. So hart hat es ihn getroffen. 

Es ist eine Bekehrungsgeschichte, und eine Bekehrung steht noch aus, als Jesus seine Geschichte beendet. Es hat die Bekehrung des jüngeren Sohnes gegeben, als er bei den Schweinen saß. Es hat die Bekehrung des Vaters gegeben, der zu seinen Gefühlen für seine Söhne gefunden hat.

Nur die Bekehrung des älteren Bruders wird nicht erzählt. Das wird denen aufgefallen sein, denen Jesus diese Geschichte erzählte. Das seid ihr, sagt er implizit. Wollt ihr euch nicht auch bekehren?

Und vielleicht sind wir auch gemeint, wir tapferen, fleißigen Protestanten, wir gutbürgerlichen Christen, anständig und tüchtig. Fühlen wir uns von Gott wirklich geliebt? Haben wir nicht auch manchmal das Gefühl, andere dürfen sich alles erlauben, und wir nicht?

Wann haben wir Gott das letzte Mal um etwas gebeten – und? Haben wir es bekommen?

Vielleicht müssen wir heute nur den einen letzten Satz hören, den der Vater zu seinem älteren Sohn sagt, und ihn uns zu Herzen nehmen: Mein Kind. Du bist allezeit bei mir. Alles was mein ist ist dein.

Amen

Hinterlasse einen Kommentar