Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte
Gerade die Tatsache, dass wir damit generell gute Ergebnisse erzielen, kann aber bewusst missbraucht werden. Denn wenn in einem Konflikt die eine Seite in massivster Form die haarsträubendsten Lügen in einer großen Fülle produziert, kann sie diese Mitte bewusst zu ihren Gunsten verschieben.
Ein aktuelles Beispiel. Wie ich in einem vorigen Artikel bereits ausgeführt habe, gibt es eine Menge an Beweisen für einen Abschuss der Boeing 777 mit der Flugnummer MH-17 durch eine BUK Luftabwehrrakete durch russische oder prorussische Kräfte (am wahrscheinlichsten ist eine Art Teamwork).
Doch statt einfach zuzugeben, dass es ein entsetzlicher Irrtum war, und dafür um Verzeihung zu bitten, wird die Weltöffentlichkeit mit Verschwörungstheorien und ganzen Bergen von „Bullshit“ zugeschüttet, die alle nur ein Ziel haben: Zweifel wecken, ob das denn wirklich so war, wie es scheint.
Das jüngste Beispiel dafür ist dafür ein echter Klassiker:
Dieses Foto wurde in irgendeinem dubiosen Forum gefunden, wo es von Verschwörungstheorien wimmelt. Mit einer Pseudo-Expertise versehen wurde es über alle Nachrichtenkanäle der Russischen Föderation in die Welt geblasen: Hier sei der Beweis, die „smoking gun“ ein ukrainischer Jet habe MH-17 abgeschossen.
Der kritischen Web-Öffentlichkeit hielt dieses Fake nur wenige Minuten stand, dann war es komplett zerpflückt. Es stimmte alles nicht: Es gab keinen Satelliten im Orbit, der dieses Foto hätte machen können, und wenn stimmen alle Größenproportionen nicht. Das Wetter auch nicht, denn es war bewölkt (ein Argument übrigens, mit dem ein ukrainisches Pseudobeweisfoto bei blauem Himmel widerlegt wird). Die Felder sind nicht im Hochsommer und die charakteristischen Wölkchen und Bestellungsmuster finden sich auf Fotos von Googlemaps und anderen Kartenseiten – allerdings aus den Jahren 2011-12. Auch die Boeing 777 ist sicher aus einer Bildsuche „Boeing von oben“ einer russischen Suchmaschine entnommen, charakteristisch fehlt der linken Tragfläche die obere Ecke. Dazu ist die Lokalisierung komplett falsch. Wir sehen zwischen Jet und Boeing den charakteristischen Flughafen von Donetsk, die Stadt dann östlich davon. Das ist über 50km von der Absturzstelle entfernt.
Man fragt sich ernsthaft, warum überhaupt irgendjemand eine so plumpe Fälschung herstellt und veröffentlicht, vor allem aber warum russische Staatsmedien dieses offensichtlich misslungene Produkt eines totalen Anfängers in ihre Hauptnachrichten übernehmen. Was dazu führte, dass selbst um Seriosität bemühte Medien hierzulande sich genötigt sahen, Behauptung und Gegenbehauptung zunächst mal halbwegs gleichwertig nebeneinander zu stellen.
Und genau das ist die Antwort: Sie haben die Wahrheit in der Mitte gesucht. Dass ist der ganze Trick. Man kann das Absurdeste behaupten, die laienhaftesten Fälschungen für echt anpreisen, und tut das einfach in einem Umfang, dass diejenigen, die um Ausgewogenheit bemüht sind, automatisch von der Wirklichkeit weggeschoben werden.
Denn neben der Tatsache, dass wir intuitiv die Mitte suchen, hilft den Propagandisten diese einfache Tatsache:

Das einzige was dagegen hilft, ist der Verzicht auf „Ausgewogenheit“. Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. Man muss sich dazu durchringen, denjenigen zu vertrauen, die sich mühevoller Faktenrecherche bedienen, und deren Erkenntnisse bislang zuverlässig waren. Wie z.B. bellingcat. Und man muss wirklich alles, was notorische Lügner verbreiten (und dazu gehören derzeit die russischen Staatsmedien) prinzipiell in Frage stellen.
Das ist unausgewogen, ja. Und die ARD bekam dafür schon einen Rüffel vom Rundfunkrat, weil ihre Korrespondenten aus purer Erfahrungsklugheit diesen Weg beschritten haben, und entsprechend kritisch berichtet haben. Nun versucht sie, durch Putin-Interviews von durch ihm handverlesene Fragen und Interviewpartner diese Ausgewogenheit wieder herzustellen. Ihre Zuschauer werden so aber der Wahrheit nicht näher kommen.
Heidelbaer
Ein Gedanke zu “Zum Jahrestag von MH-17 etwas aus dem Archiv”