Und wieder schlägt der Terror zu. Und wieder. Und wieder. Und wieder.
Und langsam bilden sich Reflexe aus: Trauer, Empörung, Mitgefühl, Schuldzuweisungen, politische Forderungen, Angst. Natürlich kann man auch darüber lästern, weil die Reaktionen dadurch vorhersagbar werden. Kaum knallt es irgendwo, schon dekorierst du deinen Avatar um, sonderst du deine Forderungen ab, weißt du schon vor der Polizei wer es war – und dergleichen.
Aber sind die Reflexe alle schlecht? Ist es nicht umgekehrt wichtig, im Umgang mit solchen Horrormeldungen eine gewisse Routine zu entwickeln, Rituale, die uns helfen, solche Mordanschläge emotional wie politisch abzuarbeiten? Wir können dabei von Israel lernen, das lange mit regelmäßigen Anschlägen zu kämpfen hatte – und seit neuestem auch wieder zu kämpfen hat. Aber was sind gute und richtige Reflexe, und welche sind vielleicht verständlich aber am Ende hinderlich und schädlich?
Folgende Punkte scheinen mir hilfreich.
- Trauer und Mitgefühl. Es ist sehr gute Sitte, unmittelbar nach dem Anschlag zuerst an die Opfer und ihre Angehörigen zu denken. Selbst wenn das nur routinemäßig geschieht, macht man sich auch selber klar, dass man diese Menschen jetzt in dieser Stunde nicht instrumentalisieren darf.
- Lass die Profis ihre Arbeit machen. Das gilt zuerst für die Rettungsdienste und Sicherheitskräfte. So groß das Interesse an Bildern vom Anschlagsort ist, wenn jeder versucht, mit seinem Smartphone schnell noch ein Foto zu schießen, um es ins Netz zu stellen, kann das Menschenleben kosten.
- Lass die Profis ihre Arbeit machen. Das gilt auch für die Ermittlung der Täter und ihrer Hintergründe. Vorschnell Vermutungen zu Gewissheiten werden zu lassen ist nicht hilfreich. Um es drastisch zu sagen: In der Türkei können sich IS und PKK mit den Anschlägen abwechseln, da immer sofort beide verantwortlich gemacht werden, terrorisieren sie faktisch doppelt effektiv. Das sollte man nicht zulassen.
- Innehalten, dann weiterleben. Selbstverständlich haben Katastrophen mit Dutzenden von Toten das Recht, unseren Alltag zu unterbrechen. Alles andere wäre kalt und ignorant. Aber egal welches Zeichen der Trauer du setzt, ob du eine Kerze anzündest, deinen Avatar wechselst oder ein stilles Gebet sprichst: Danach geht das Leben weiter. Dafür kann so ein Ritual auch hilfreich sein, dass man sich selber die Erlaubnis geben kann, sich wieder dem Alltag zuzuwenden. Denn das ist notwendig, auch um die Macht des Terrors zu begrenzen.
- Den Opfern Namen geben. Es ist wichtig, dass die Opfer nicht eine anonyme Zahl von Toten sind, die man dann einfach vergisst. Der Opfer zu gedenken, mit öffentlichen Trauerfeiern Abschied zu nehmen, Angehörigen die Chance geben, deren Geschichte zu erzählen – all das kann hilfreich sein, kann Menschen helfen, über die Katastrophe hinwegzukommen. Und macht gleichzeitig deutlich, dass dies kein Krieg ist, sondern Mord an normalen Menschen wie du und ich.
- Terrornetzwerke kriminalistisch bekämpfen. In erster Linie ist Terror nichts anderes als organisierte Kriminalität. Es gibt Strukturen, Waffen- und Finanzströme. Die gilt es aufzuspüren und auszuheben. Terrorabwehr hierzulande ist in aller erster Linie polizeiliche, nicht militärische Aufgabe. Da er international operiert, muss die Zusammenarbeit der Polizeien gut organisiert sein. Die Erfolgsbilanz sieht besser aus, als man unter dem unmittelbaren Eindruck eines Anschlags glauben möchte.
- Ursachen des Terrors in den Blick nehmen. Dazu gehören nicht nur die klassichen Argumente wie youth-bulge, Perspektivlosigkeit, Entwurzelung und Bürgerkrieg. Sondern es müssen auch religiöse und ideologische Milieus in den Blick genommen werden, die Nährboden für Menschenverachtung und Vernichtungsphantasien sind. Dazu gehört die Einsicht, dass dieser Terror komplex ist und die Reduktion auf nur eine einzige Ursache garantiert in die Irre führt.
- Solidaritätsmilieus austrocknen. Die Terroristen brauchen immer ein Milieu, in dem sie sich ungefährdet bewegen können. Leute, die vielleicht nicht richtig finden, was sie tun, aber Verständnis haben und sie niemals verpfeifen würden. Die Entsolidarisierung der breiten Mehrheit der Muslime hierzulande mit den Terroristen hat Fahndungserfolge ermöglicht und Anschläge verhindert. Dieser Weg muss fortgesetzt werden. Die Forderung, sich zu positionieren und die Solidarität zu bekennen ist richtig, Pauschalverurteilungen extrem kontraproduktiv.
- Patentlösungen kritisch sehen. Wer Patentlösungen präsentiert, ignoriert den Erfolg, den bisherige Maßnahmen gegen den Terror hatten. Niemand garantiert, dass ein kompletter Strategiewechsel noch erfolgreicher wäre – es ist sogar unwahrscheinlich. Der schreckliche Beweis, den jeder Anschlag liefert, dass es keine 100%ige Sicherheit gibt, ist auch ein Argument gegen gerade die, die so tun, als könnte man mit einer Maßnahme (Grenzen dicht oder ähnliches) genau das erreichen.
- Stärke zeigen. Nicht nur militärische Stärke (aber auch die beeindruckt die Terrorpaten mehr als man denkt), sondern auch innere Stärke. Zusammenhalt demonstrieren, Selbstbewusstsein zeigen, dass unsere Welt mit ihrer Freiheit, ihren Rechten und Schönheiten die bessere Alternative ist- und dass Terror die Waffe der Verlierer ist, der Versager, der Impotenten.
Auch meine Gedanken sind heute bei den Opfern und ihren Angehörigen, bei den Verletzten und Verängstigten.
Heidelbaer
Hat dies auf Health Care meets Social Media… rebloggt.
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