Sehr geehrter lieber Bruder Rüß,
wenn idea sie richtig zitiert, begrüßen Sie die Entscheidung der lettischen Kirchenleitung künftig keine Frauen mehr in das Pastorenamt zu ordinieren:
Die Synode habe sich bewusst von Texten der Heiligen Schrift leiten lassen und dem „enormen Druck des Zeitgeistes und der Genderideologie“ widerstanden.
Gegenübergestellt werden also die Heilige Schrift gemeinsam mit lettischen Synode auf der einen Seite – gegen den Zeitgeist und deren Kritiker, die eine „Genderideologie“ verträten auf der anderen. Nun bin ich erstens ein leidenschaftlicher Neutestamentler, nenne Jesus meinen Herrn und verehre den Apostel Paulus geradezu glühend. Andererseits bin ich der Genderideologie gegenüber höchst skeptisch eingestellt – und wurde deshalb im Assessement-Center der damaligen Nordelbischen Kirche aussortiert. Um ein Haar wäre ich niemals Pastor geworden, hätte man nicht an höherer Stelle (wie hoch entzieht sich meiner Kenntnis) eingegriffen. Außerdem beziehe ich Ihre Zeitschrift und werde zu den Jahrestreffen der kirchlichen Sammlung eingeladen, obwohl ich nie beigetreten wäre oder je einen Cent Beitrag bezahlt hätte. Offenbar ist die Mitgliedschaft erblich, mein Vater war mit Dieter Müller auf Du und überhaupt regelmäßig dabei – wenn auch ohne Funktion.
Trotz all dieser Gemeinsamkeiten muss ich Ihnen widersprechen. Denn gerade habe ich auf der Jahrestagung der Geistlichen Gemeindeerneuerung über Jesus und die Frauen ein Referat gehalten, und habe darin die Frauenordination verteidigt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass hier eine Bruchlinie zwischen konservativ-evangelikalem und charismatischen Christentum aufreißt, genau an der Frage: Was traue ich dem Heiligen Geist zu? Wie ernst nehme ich sein Wirken heute? Wie definiert sich Treue zur Heiligen Schrift, besonders zu Paulus?
Ich erspare Ihnen, die einschlägigen Bibeltextstellen zum Lehr- ja Redeverbot von Frauen in den Paulusbriefen kaputtzuexegesieren. Ich bin Berger-Schüler, und wenn ich etwas von meinem Doktorvater gelernt habe, dann diesen Satz: Der Exeget ist immer Anwalt des Textes gegen jeden Versuch der Vereinnahmung und Verwurstung. Wissenschaftlich seriöse Exegese hat nichts mit Pippi Langstrumpf zu tun, dass ich mir die Welt, respektive das Biblische Zeugnis mache, wie es mir gefällt. Wenn ich die Bibel nur aufschlage, damit sie mir recht gibt, sollte ich sie lieber gleich zugeklappt lassen.
Also machen wir es kurz: Selbstverständlich verbietet Paulus Frauen das Lehramt (ich gehe mit Rüdiger Fuchs davon aus, dass die Pastoralbriefe echt sind) und würde es begrüßen, wenn sie in der Versammlung schwiegen. Ich habe jedenfalls noch keine überzeugende Argumentation gefunden, weshalb er das nicht so gemeint haben könnte. Die Begründung ist freilich abenteuerlich (und theologisch hochproblematisch): Ausgerechnet Adams durchsichtige und von Gott selbst durchschaute und zurückgewiesene Argumentation aufzugreifen, Eva hätte ja mit der Sünde angefangen, kann nur schwer nachvollzogen werden. Die exegetische Anwaltschaft gegen Verwurstung von Texten richtet sich auch notfalls gegen den Apostel selber.
Das allein reicht aber noch nicht aus, vielmehr stellt sich die Frage: gibt es biblische Beispiele dafür, die uns ermutigen könnten, gegen den Wortlaut der Schrift zu denken, zu lehren und zu handeln? Das Beispiel liefert spannenderweise Paulus selber. Zu seiner Zeit war das Alte Testament die Heilige Schrift. Dennoch verlässt Paulus diesen Boden mehrfach: Wenn es um Beschneidung der Männer geht oder um das Verbot Fleisch zu essen, dass nicht völlig ausgeblutet ist. Das Interessante ist dabei, dass auch Paulus nicht versucht, die Gesetztestexte umzuinterpretieren, sondern nach Kriterien sucht, die beweiskräftig belegen, dass diese Regelungen nicht mehr gültig sind.
Das ist sensationell, revolutionär und brandgefährlich: Viel Mühe verwendet er darauf, den befürchteten Dammbruch abzuwenden, als würde mit einer oder zwei Vorschriften gleich das ganze Gesetz obsolet (trotzdem musste er sich genau diesen Vorwurf gefallen lassen, und hat dafür übelst gelitten). Tatsächlich kann ein göttliches Gesetz nicht zu einem Gemischtwarenladen verkommen, in dem sich jeder nun nur noch die Regeln aussucht, die ihm besonders passend erscheinen und alle anderen einfach für obsolet erklärt. Das Wort Zeitgeist kannte Paulus noch nicht, aber seine Befürchtungen einer Erosion des göttlichen Gesetzes zur menschlichen Beliebigkeit wäre sein Alptraum gewesen.
Aber anders als der Zeitgeist ist der Heilige Geist, der Geist Gottes sehr wohl legitimiert, die Gesetze Gottes außer Kraft zu setzen. „Was ich für rein erkläre, das nenne du nicht unrein“ sagt der Geist Gottes dem Apostel Petrus. (Apg 10,15). Das Aufregende dabei ist, dass Petrus ja nicht aus eigene Willkür, sondern auf bester biblischer Grundlage etwas für unrein erklärt. Deshalb kann es auch nur Gott selbst sein, der diese Regelungen aufhebt, niemand sonst darf das. Aber wie soll das gehen?
Die Apostelgeschichte erzählt es so, dass Petrus durch Visionen ermutigt, tatsächlich zu diesen heidnischen Menschen predigt, und während er von Jesus erzählt der Heilige Geist auf sie fällt. Sichtbar, spürbar: Sie reden in Sprachen und loben Gott. Der Apostel sieht ein, wenn Gott selbst durch seinen Geist Gemeinschaft mit diesen Menschen hat, dürfen wir sie nicht weiter ausschließen und tauft sie – auch ohne, dass sie weitere Bedingungen zu erfüllen haben.
Paulus selbst schildert das im Galaterbrief identisch in Kapitel 3,1-2 erinnert er seine Gemeinde an genau die selbe Reihenfolge: Wann habt ihr den Geist empfangen, durch Werke oder durch den Glauben, der geweckt wurde, als ich euch Jesus Christus als den Gekreuzigten vor Augen malte? Die Erfüllung mit dem Heiligen Geist war auch hier beweiskräftig für die Annahme durch Gott. Und diese Annahme durch Gott selbst wiederum legitimierte die Abschaffung des Ritual- und Reinheitsgesetzes, die im weiteren Gang des Galaterbriefes leidenschaftlich vertreten wird. Ohne dabei übrigens das Gesetz als solches in seiner Wirkung aufzuheben: Die ethischen Aspekte des Gesetzes werden im 5. Kapitel allesamt noch einmal eingeschärft.
Von daher gilt es einen kühnen Bogen zur Frage der Frauenordination zu spannen: Werden Frauen durch den Heiligen Geist erfüllt, in den pastoralen Dienst gerufen und tun sie ihn kraftvoll und segensreich? Dann ist völlig unabhängig vom Zeitgeist des 21. oder des 1. Jahrhunderts der Geist Gottes das entscheidende Kriterium. Und diese Frage ist ohne auch nur den geringsten Hauch eines Zweifels eindeutig zu bejahen. Aber mit der Bibel in der Hand Gottes Geist zu widersprechen, sollte uns nicht passieren. Schon gar nicht, wenn wir Paulus ernst nehmen wollen.Da verstand der nämlich auch keinen Spaß (Gal 1,8), genauso wenig wie Jesus übrigens, der andeutete, dass die Verleumdung des Heiligen Geistes als Ungeist (und „Zeitgeist“ fällt ja wohl in diese Rubrik) alle Brücken zum Heil zerstören könnte (Markus 3,22-30).
Ich lasse mich also nicht vom Zeitgeist treiben, sondern vom Geist Christi, dem Heiligen Geist, dem Geist Gottes. Und ich höre nicht auf Gender-Ideologen, sondern auf Jesus und auf Paulus. Deshalb halte ich die Entscheidung der lettischen Kirchenleitung auch für verurteilenswert. Nicht in so scharfen Worten wie Jesus oder Paulus sie verwandten. Aber doch in aller Klarheit und Deutlichkeit, die ausdrückt, dass es sehr wohl um den Kern des evangelischen Zeugnisses geht, dass Geist lebendig macht und Buchstabe tötet, dass Glaube entscheidet und nicht Geschlecht.
Denn so ist nicht mehr Jude noch Grieche, nicht mehr Sklave noch Freier, weder männliches noch weibliches – sondern alle eins in Christus Jesus. (Galater 3,28). Für Paulus war das noch eine beinahe eschatologische Vision. Wir sind diesem Himmel auf Erden schon weit näher gekommen als er es sich hätte vielleicht träumen lassen. Ohne Not dahinter zurückzugehen kann nicht evangelisch, kann kaum christlich zu nennen sein.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Philipp Kurowski
P.S. Wenn Sie mich jetzt aus der Kartei streichen, kann ich damit leben.
P.P.S. Ehe Sie mich entgeistert fragen, ob diese Argumentation prinzipiell auch für Homosexuelle gilt, die Antwort ist: Ja, natürlich.
Interessant, dass die Vereinigung lettischer Theologinnen 2005 das Jubiläum zur 30jährigen Ordination von Frauen in der ELKL unter folgendes Wort stellten,
Apostegeschichte 2,17:
Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Ältesten sollen Träume haben;
ein Zitat aus Joel 2,18. Auch dies sind Stellen aus der Heiligen Schrift.
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Es gibt noch viele Schriftbelege für Profetinnen und andere „Geistliche“ unter den biblischen Frauengestalten von Mirjam bis zu den vier Töchtern des Philippus. Aber wer nicht sehen will, der sieht einfach nicht. Wir haben den Schatz von Gott „in irdischen Gefäßen“, alle.
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