Gesprächsstoff liefert diese von Arte im Auftrag des WDR produzierte Dokumentation auf jeden Fall massig. Das liegt schon daran, dass ihre Ausstrahlung abgesetzt wurde, und dafür wechselnde und auch fadenscheinige Gründe vorgebracht wurden. Das weckte den Verdacht, sie sei möglicherweise zu brisant, oder womöglich zu sehr gegen die von den Sendern verfolgte Linie.
Zensurverdacht brodelte hoch, und als sich der WDR gegen den Vorwurf des Antisemitismus verwahrte, der gar nicht erhoben wurde, schrillten so manche Alarmglocken. Das Interesse stieg sprunghaft an, in den sozialen Medien wurde Druck aufgebaut, ich habe den Medienanwalt meines Vertrauens auch gefragt, ob nicht womöglich rechtliche Schritte möglich wären, die Veröffentlichung zu erzwingen.
Nun hat – ausgerechnet – die BILD auf ihrem Online-Portal für 24 die Doku gezeigt, ich habe sie in voller Länge gesehen. Mittlerweile wurde das Material natürlich runtergeladen und steht offline in diversen Sicherungskopien und hier und da auch auf YouTube zur Verfügung. Weil mir rechtlich nicht wohl dabei ist unauthorisierten YouTube Videos zu verlinken möge der Leser bitte selber googeln.
Mein Fazit fällt durchaus gemischt aus: Als jemand, der sich mit der Frage von Judenhass in unserer Gesellschaft schon immer beschäftigt hat, brachte die Doku nicht allzu viel Neues. Dennoch stellte sie eindrucksvoll wichtige Zitate zusammen und dokumentierte Verstrickungen und Verknüpfungen, die den neuen Antisemitismus in Europa ausmachen.
Das sind im Wesentlichen drei Milieus: Das altlinke, das neurechte und das islamistische Lager. Als Kitt funktioniert – so zeigen die Reporter – vor allem die Israelkritik. Die Kritik an der Politik Israels wird zum Andockpunkt klassischer antisemitischer Klischees: Kindermord, Brunnenvergiftung, Finanzoligarchie.
Es streckenweise wirklich beklemmend, wie offene Neonazis, irrlichternde Verschwörungstheoretiker und wirklich gutwillige ältere Kirchentagsleute genauso wie fröhlich junge Globalisierungskritiker ein und die selben kruden Theorien wiederkäuen, wie man sie auch später von islamistischen Gangsta-Rappern hört.
Merken die das gar nicht? Nein, erklären uns die dazwischen immer wieder interviewten Fachleute, jeder assoziiere mit Antisemitismus nur die menschenvernichtende Rassetheorie der Nazis, deshalb gelinge es dem neuen Antisemitismus sich von diesem Vorwurf selbst reinzuwaschen.
Dabei sei gerade das doch die Lehre aus der Geschichte, dass sich der Antisemitismus immer als sehr wandelbar und anpassungsfähig gezeigt habe. Und sein neues Gewand sei dieser Tage eben die Israelkritik. Dabei sei gar nicht jede Kritik an israelischer Politik an sich antisemitisch. Aber zuverlässig da, wo sie über ihr Ziel hinausschieße, wo sie obsessiv werde, wo jede Lüge zur Wahrheit wird.
Dennoch werden die Einzelstimmen nicht klar genug von den Organisationen differenziert, für die sie scheinbar sprechen. Es fehlen gänzlich die anderen Aspekte, dass es in der Linken auch einen BAK Shalom gibt, auf dem Kirchentag ein großes Programm mit Juden und Christen, und auch Israelfreunde dort prominent vertreten sind.
Stellungnahmen von relativ pauschal mit anti-isralischem Antisemitismus beschuldigten Organisationen, ob Parteien, Kirchen, Gewerkschaften oder NGOs wurden praktisch kaum eingeholt, was man wenigstens hätte versuchen sollen. So blieben die zum Teil wirklich schrägen Aussagen Einzelner unkommentiert stehen. Das geht so nicht.
Umfangreich – vielleicht ein wenig zu ausführlich – wird auch in Israel, Gaza und dem Westjordanland recherchiert. Die Vorwürfe der Israelkritiker seien Lügen versichern uns die Dokumentatoren: Gaza bekomme die höchste Pro-Kopf-Förderung überhaupt, und für die Flüchtlinge sowieso mit eigenem UNO Hilfswerk und unzähligen NGOs.
Alle Probleme dort seien hausgemacht, Korruption, Terror. Besatzungsrecht? Blockade? Kriegsschäden? Alles nicht ausschlaggebend, alles längst bezahlt, alles übertrieben, und ohnehin ist jede Sicherheitsmaßnahme Israels von vornherein erst einmal legitim. Das kann man so machen – ob es Kritiker überzeugen kann, vermute ich nicht.
Es ist eine der Schwächen der Doku, dass sie wirklich allein das israelische Narrativ erzählt, und auch nur jüdische Zeitzeugen zu Wort kommen. So sinnvoll es ist, sich diese Sicht der Dinge auch mal zu vergegenwärtigen – und einseitige Darstellungen der anderen Seite gibt es wirklich in Hülle und Fülle – so bleibt doch hier einiges an journalistischer Qualität auf der Strecke.
Dennoch bilden die Aufnahmen und Interviews aus Gaza einen erfreulichen Kontrast zu den immer wieder neu gezeigten Bildern von kaputten Häusern und perspektivlosen Flüchtlingen. Straßen, Strände, Hotels – Gaza ist keineswegs ein trostloses Freiluftgefängnis.
Auch die bösen Siedler und Siedlungen werden in ein anderes Licht gerückt, wenn palästinensische Arbeiter ihren jüdischen Chef loben, und keinerlei Verständnis dafür aufbringen, warum nun gerade die Produkte ihrer Fabrik boykottiert werden sollen, wo sie zu den wenigen Arbeitgebern in der Westbank gehört, die guten Lohn zahlen.
Der Blick nach Frankreich, den die Doku schließlich riskiert, ist dann wirklich besorgniserregend: Die Ausbreitung eines religiös angefeuerten arabischen Antisemitismus, die auch gut bewährtes Zusammenleben von seit Jahrzenten benachbarter Gruppen plötzlich gewaltsam enden lässt, ist erschütternd.
Wir in Deutschland müssen uns fragen: Sind unsere hier so super integrierten Türken auch antisemitsch aufhetzbar? Wie verhindern wir bei der Immigration einer neuen arabischen Minderheit, dass sich das Virus ähnlich ausbreitet wie in Frankreich? Es geht dabei um viel, denn ein französischer Bürgermeister konstatierte: Hier scheitert die Republik, wenn Juden auswandern, einfach, weil sie sicher leben möchten.
Heidelbaer