Der Abzug der USA aus Syrien ist beschlossene Sache. Und es war Trump so ernst, dass er seinen vielleicht angesehensten und wichtigsten Minister dafür opferte: Jim Mattis. Der hatte ihm klar gesagt, dass er das nicht verantworten könne.
Da fragt man sich schon: Warum? Geht es denn nicht um nur 2000 Soldaten, und ist ISIS nicht wirklich militärisch so am Ende, dass es auch ohne die amerikanischen Kräfte gelingen könnte, ihnen den Garaus zu machen?
Möglich. Aber das Problem ist nicht ISIS. Der Abzug der Truppen gefährdet die Machtbalance im Nahen Osten erheblich. Und nicht zu Gunsten der USA. Diese strategische Sicht wird Mattis bewogen zu haben, sein Amt als Verteidigungsminister in die Waagschale zu legen, um Trump zum Einlenken zu bewegen. Es hat nicht gereicht.
Und immer wenn es um Machtbalance im Nahen Osten geht, geht es heute um Israel, Iran und Saudi-Arabien. Iran ist es gelungen, nach Abzug der USA den Irak weitgehend zu finnlandisieren, soll sagen: Der Irak ist in seinen politischen Entscheidungen vom starken Nachbarn abhängig.
Es ist auch zu befürchten, dass Syrien, wo Assads militärischer Sieg erreichbar scheint, stark unter iranischen Einfluss gerät. Denn die Bodentruppen, die an der Seite der syrischen Armee den Sieg erringen, kommen aus den Reihen der Hisbollah und der iranischen Revolutionsgarden.
Für diesen Einsatz wird Assad einen Preis bezahlen müssen, und so entsteht ein Szenario, das geradezu den Alptraum der israelischen Sicherheitspolitiker Wirklichkeit werden lässt: Eine durchgängige Landbrücke von Teheran bis nach Beirut, die für Waffen und Truppentransporte freie Fahrt bietet.
Niemals hat Iran einen Zweifel daran gelassen, dass die Vernichtung Israels zur Staatsräson der islamischen Republik gehört. Bislang mussten anti-israelische Terrororganisationen langwierig über Schiffe versorgt werden, die durch den Persischen Golf, den Indischen Ozean, das Rote Meer den Suezkanal und das Mittelmeer an Israels Küste schippern mussten. Oft genug wurden sie aufgebracht oder blockiert.
Nun könnte man mit Panzern, Raketen, Mannschaften und Munition einfach durchmarschieren von Iran durch Irak und Syrien bis zum Golan, nach Libanon oder gleich nach Galiläa und Tel Aviv. Denn: wer sollte sie aufhalten? Da, wo die Amerikaner standen, im Grenzgebiet zwischen Syrien und Irak, da wo die Schiiten und Aleviten auch keine Mehrheit in der Bevölkerung haben – dort droht jetzt die Kontrolle an Assad überzugehen.
Nun geht Israel nicht unter, wenn 2000 US-Soldaten nach Hause fahren. Aber Netanjahu muss sich eingestehen, dass auch seine Beste-Freunde Strategie nach Macrons Versuch Präsidiale Augenhöhe herzustellen und Merkels Ansatz, sachpolitisch die Persönlichkeits-Aspekte auszuklammern gescheitert ist: Trump hat ihn, als wichtigsten Verbündeten der Region verraten.
Natürlich gibt es noch die israelische Armee. Sie ist bislang mit jedem Feind fertig geworden. Und auch wenn die Nachschubwege jetzt frei sind – sie sind immer noch lang. Aber die Gefahr eines Krieges ist gewachsen, und er dürfte für Israel kompliziert und verlustreich werden, selbst wenn er gewonnen würde.
Denn Iran hat bessere Raketen als die Hamas. Sie haben höhere Präzision und längere Reichweiten. Das Iron Dome Abwehrsystem dürfte zwar manche abfangen, aber schon jetzt hat Hisbollah im Libanon ein Arsenal, das unmöglich komplett in der Luft zu zerstören sein dürfte.
Das bedeutet aber: Israel muss präventiv zuschlagen, aus der Luft. Überhaupt gehen eigentlich alle israelischen Verteidigungsstrategien davon aus, relativ schnell die Luftüberlegenheit herzustellen. Und damit kommt jetzt Putin ins Spiel. Denn die Russen haben moderne und weitreichende Luftabwehrraketen in Syrien stationiert.
Bislang hat Russland israelische Schläge gegen einen allzu forschen Truppenaufbau von Hisbollah und iranischen Revolutionsgarden in Syrien toleriert. Die syrische Luftabwehr war alleingelassen mit der Aufgabe, die Israelischen Jets abzuschießen – und versagte kläglich. Dafür erwischten sie die falschen und schossen ein russisches Spionageflugzeug ab. Friendly Fire.
Russland hat dafür aber Israel verantwortlich gemacht, und deutete an, dass man die Linie der Toleranz gegenüber israelischen Luftschlägen in Syrien auch enger ziehen könnte. Dann allerdings müsste Israel entweder höhere Verluste an Flugzeugen und Piloten einkalkulieren – oder selbst die russische Luftabwehr ausschalten. Keine Alternative, die Netanjahu ruhig schlafen lassen würde.
Ohne amerikanische Präsenz in Syrien gerät Israel also in russische Hände: Wenn eine Seite sich um der eigenen nationalen Sicherheit willen mit der anderen einigen muss – hat die anderen alle Trümpfe in der Hand. Zumal der dritte Spieler im Bunde, die Türkei als Verbündeter wohl wegfällt. Erdogan als Person ist von geradezu antisemitisch anmutenden Antizionismus erfüllt, und hat alles gewachsene Vertrauen zerstört.
Bleiben eigentlich noch die Saudis, aber deren Unfähigkeit vor ihrer eigenen Haustür in Jemen die iranisch unterstützten Rebellen unter Kontrolle zu bringen, lässt nicht viel Hoffnung zu, dass die bei aller modernen Wehrtechnik wirklich dem Iran Einhalt gebieten können. Und ja, leider, von Europa braucht man diesbezüglich einfach nicht zu reden.
Oder doch? Zumindest diplomatisch muss der Islamischen Republik Iran deutlich gemacht werden, dass man ihr das Reden und Tun zur Zerstörung Israels nicht mehr als nationale Folklore durchgehen lässt. Mit dem Irak muss geredet werden. Mit der Türkei sowieso. Und auch mit Russland, hier bestehen Einflussmöglichkeiten, die Israels Bewegungsfreiheit erhöhen könnten.
Nur mit den USA, was soll man da noch bereden? Klar kann man hoffen, dass sie zu ihren Sicherheitsgarantien für Israel stehen, und natürlich weiß man, dass die USA als vielleicht einzige Militärmacht der Welt in der Lage wären, dem Iran empfindlich wehzutun. Aber Trump hat viel Vertrauen zerstört. Und ein vergleichsweise preiswertes Instrument, eine iranisch-israelische Konfrontation im Vorwege zu verhindern, hat er gerade weggeworfen.
Heidelbaer