Liebe CDU,

ich weiß: du bekommst viele Tipps von Leuten, die dich gar nicht wählen, und es nervt gewaltig, immer nur mit Ratschlägen bombardiert zu werden. Du wirst diesen Brief also womöglich nicht lesen, ich verstehe das. Und nach der Wahl in Hamburg wirst du wahrscheinlich auch Kopfschmerzen haben. Aber trotzdem will ich dir schreiben, weil ich dich schätze und respektiere. Und weil ich mir Sorgen mache.

Ich finde, ihr hängt Thüringen zu hoch. Alle Landtagswahlen in den östlichen Bundesländern wurden zu Kampfabstimmungen zwischen dem als demokratisch geltenden Amtsinhaber und der als einziger Opposition wahrgenommenen AfD. So durfte jede Partei aus dem demokratischen Spektrum einmal jubeln, die SPD in Brandenburg, die CDU in Sachsen, die Linke in Thüringen – OK, die Grünen fehlen noch, stellen aber im Osten keinen Ministerpräsidenten.

Die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten gewann überall dazu. Unter die Räder gerieten jeweils die Koalitionspartner und die „innerdemokratische“ Opposition. Einzig zweiter Profiteur in allen anderen Wahlen war die AfD. Sie gilt – man muss es wohl so sehen – im Osten als einzig echte Opposition. Wer mit der Regierung unzufrieden ist, wählt nicht in Sachsen linke oder in Thürigen CDU. Sondern AfD.

Das ist im höchsten Maße bedenklich, denn die AfD wird nicht etwa wegen ihres besseren politischen Konzeptes gewählt, sondern weil sie den Menschen nicht weniger als den Systemwechsel verspricht. Gerade im Osten profiliert sich der völkische Flügel mit Kalbitz und Höcke in Spitzenpositionen. Es geht nicht um eine Alternative im System, sondern zum System. Unserem freiheitlich-demokratischen System.

Jeder kann das daran erkennen, dass bei der AfD von Systemparteien, Systemmedien und dergleichen die Rede ist. Dass von Merkeldiktatur gesprochen wird, von Weltverschwörung und Freiheitskampf eines von der Auslöschung bedrohten Volkes.

Das bedeutet aber im Umkehrschluss: Bodo Ramelow von der Linken wurde nicht gewählt, weil irgendwo in der Linken vom Scheißkapitalismus die Rede ist, der zugunsten eines demokratischen Sozialismus abgeschafft gehört. Er wurde gewählt, weil er als Stabilitätsanker des Systems angesehen wurde.

Das wurde leider von euch nicht begriffen. Ihr habt den Wähler für bekloppt erklärt, dass er sich ausgerechnet einen Linken zur Bewahrung unseres Systems aussuchte, und dem die Stimme gab. Aber Wähler für bekloppt erklären geht in einer Demokratie selten gut. Und jemanden, der fünf Jahre routiniert demokratisch regiert hat zum Systemfeind hochjazzen zu wollen ist auch ein bisschen peinlich.

Und als ihr euch dann als die eigentlichen Bewahrer des Systems aufspielen wolltet, und tatsächlich als Juniorpartner (!) der erklärten Systemfeinde einen Ministerpräsidenden wähltet, der nicht Bodo Ramelow hieß, brach eine Welt zusammen. Nämlich, dass die CDU als ganzes und in all ihren Teilen für dieses demokratische System steht. Davon war ich bis dahin fest ausgegangen und traute deshalb meinen Augen und Ohren nicht.

Nun habt ihr euch eines besseren besonnen. Ich bedaure, dass in den Äußerungen dazu immer noch nicht deutlich wird, dass ihr eure Rolle wirklich begriffen habt: Nämlich als eine Alternative im demokratischen Lager, die bereit ist, Thüringen zu regieren, wenn der Wähler ihr mehr Stimmen gibt als der Linken, die eben auch zum demokratischen Lager gehört (ob sie selber das will oder nicht, spielt für den Wähler offensichtlich keine Rolle).

Und gemeinsam müssen wir das große Problem anpacken, was es für uns alle eigentlich bedeutet, dass 25% der Menschen im Osten eine Partei wählen, die das System als ganzes ablehnt. Warum eine Opposition innerhalb des demokratischen Spektrums gar nicht mehr als Opposition, als Alternative wahrgenommen wird (das ist euer Problem in Thüringen, das der SPD in Sachsen usw.).

Sicher ist es dazu nötig, auch profilierte Oppositionsarbeit zu machen, zu zeigen, dass im demokratischen Spektrum nicht alle Parteien irgendwie dasselbe wollen. Aber es darf eben kein Zweifel aufkommen, dass man eben zu diesem Spektrum noch dazugehört, wenn es hart auf hart kommt.

Natürlich darf man die Frage stellen, ob man nicht unser demokratisches System für stark und robust genug hält, auch mit seinen Feinden fertig zu werden. Ob man nicht durch Integration in das System auch eine Partei wie die AfD dazu bringen kann, demokratische Tugenden zu lernen: Kompromisse zu schließen, Verantwortung zu übernehmen, Sachthemen unideologisch anzugehen.

Oder genau daran öffentlich und sichtbar zu scheitern und sich als „Alternative“ selbst aus dem Spiel zu nehmen. So ähnlich, wie es in Österreich mit der FPÖ gelungen zu sein scheint. Aber wie viele Kompromisse muss man diesen Leuten gegenüber machen? Wieviel Arroganz und Willkür gegenüber den Schwachen am Rand der Gesellschaft will man zulassen? Und steht ausgerechnet die CDU dafür zur Verfügung?

Und wenn man das wirklich wollte, dann müsste man sich für dieses Experiment ja einen Landesverband der AfD aussuchen, der nicht fest in der Hand des sogenannten Flügels ist, wo es irgendwie die Hoffnung geben könnte, dass welche Zusammenarbeit auch immer, nicht als totaler Verrat an der Demokratie und ihren Werten wahrgenommen wird. (Aktuell fällt mir allerdings keiner ein…)

Im Ergebnis muss das ein entschiedenes Nein stehen, dass nicht nur aus dem Parteitagsbeschluss, sondern auch aus dem christdemokratischen Herzen kommt. Und gleichzeitig ein Ja dazu, Konservative Politik neu zu denken: Eben als Bewahrung unseres freiheitlichen demokratischen Systems.

Wir brauchen Einigkeit – bei aller Diversität. Wir brauchen Recht – und deshalb auch staatliche Gewalt, es durchzusetzen, wir brauchen Freiheit – in der der Familienvater mit Dieselauto im Carport des Reihenhauses und Nackensteak auf dem Grill genauso akzeptiert wird, wie urbane öko-vegane LGBTIQ-People mit Migrationshintergrund.

Ihr seid also nicht überflüssig. Ihr seid noch wählbar als Volkspartei. Und wir brauchen euch im Westen, wir brauchen euch auch, um den Osten als Ganzes für unser System wieder zurückzugewinnen. Deshalb: Willkommen zurück im demokratischen Lager. Und macht das mit der AfD bitte nie, nie wieder.

Liebe Grüße, Euer Heidelbaer


Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s