Corona – die neue Kinderkrankheit?

Nach den Sommerferien kommt es zum Schwur: Wie soll es weitergehen? Was wir jetzt wissen, reicht im Grunde aus, um eine klare Alternative zu stellen: Entweder, wir wollen alle Kinder impfen, dann bedeutet das, dass vorübergehend noch AHAL-Regeln an den Schulen gelten müssen, und bei bestimmten Inzidenzwerten einer Altersgruppe – oder bei gehäuften Fällen in einer Einrichtung – müssten Schulen und Kitas eben wieder schließen. Bis ein sicherer Impfstoff gefunden und in ausreichender Menge vorhanden ist. Sinnigerweise sogar als Pflichtimpfung, dann hat man das Problem gelöst.

Die Alternative ist: Einfach laufen lassen, wie bei Kinderkrankheiten auch läuft das Coronavirus einmal durch alle Altersstufen durch, und am Ende sind alle immun. Das dürfte vielleicht ein Jahr dauern oder noch ein zweites, dann ist das Thema durch. Wenn alle Erwachsenen geimpft sind, sollte das Virus nur ausnahmsweise aus der Altersgruppe ausbrechen. Eben wie eine Kinderkrankheit.

Andere Möglichkeiten sind eher nur theoretische: Bis ans Ende der Tage mit Coronaregeln Schule zu machen, oder sich der Illusion hingeben, man könne OHNE irgendwelche Schutzmaßnahmen dauerhaft einer Infektion entgehen, weil die Impfquote doch auch ohne Kinder hoch genug sei. Das erste ist unzumutbar, das andere unrealistisch, beides scheidet nach Stand der Dinge aus.

Ein kurzer Blick auf die Fakten zeigt das: Spätestens mit der neuen, indischen Variante B 1.917.2 ist die Basisreproduktionszahl (also der R-Wert ohne irgendwelche AHAL-Maßnahmen) des Coronavirus‘ auf über 5 gestiegen. Ein Infizierter steckt fünf andere an. Damit spielt Corona jetzt in der Liga von Masern, Mumps, Röteln, Keuchhusten, Windpocken und anderen Kinderkrankheiten.

Die heißen nämlich so, weil sie so ansteckend sind, dass man sie schon als Kind bekommt, mit ziemlicher Sicherheit. Die Erwachsenen haben es überwiegend hinter sich, bei ihnen herrscht Herdenimmunität. Vergleichbar mit einer guten Impfquote gegen Corona. Trotzdem reicht ein Basis-R von 5, in der Alterskohorte der Kinder mehr oder minder komplett durchzulaufen.

Um es mit dem Schweizer-Käse Modell zu erklären: Das Virus ist durch Mutation gewissermaßen kleiner, flüssiger geworden, es passt durch Löcher durch, in denen das Wuhan-Corona-Virus noch hängengeblieben ist. Wenn wir 80% Impfschutz haben, haben wir ein 20% Loch – und zwar in der Kinder und Jugend Alterskohorte. Durch dieses Loch rauscht es ungehindert durch, wenn wir nicht entweder mit AHAL oder mit Impfungen weitere Scheiben davorpacken.

Ein Beispiel sehen wir in Großbritannien, wo die beste Impfquote Europas (ohne Israel) erreicht wurde, und trotzdem die Zahlen in einigen Gebieten förmlich explodieren. Und dabei sind noch etliche Restriktionen in kraft, auch wenn es keinen Lockdown mehr gibt. Sogenannte Heatmaps zeigen: Es grassiert vor allem in der Altersgruppe 5-15, also dem klassischen Schulalter.

Soll man die Kinder erst schützen, dann impfen, oder kann man das Virus laufen lassen? Die Diskussion wird uns noch den Sommer beschäftigen. Grundsätzlich ist es einfach: Solange das Risiko einer Infektion größer ist als das der Impfung sollte man impfen, jedenfalls dann, wenn das Infektionsrisiko sehr hoch ist – was wir für Corona annehmen dürfen.

Aber so einfach ist es dann wieder doch nicht: Erstens wissen wir zu wenig, um die Risiken exakt zu bestimmen. Breite klinische Studien mit der Impfung fehlen noch – genauso wie eine präzise Ermittlung des Risikos möglicher Langzeitfolgen einer Infektion mit der indischen Corona-Variante (sog. LongCovidKids).

Wir wissen bislang: Für Kinder ohne Vorerkrankungen geht Corona in aller Regel sehr glimpflich aus. Aber wir wissen nicht, was passiert, wenn wir wirklich alle Kinder die Infektion durchlaufen lassen. Und natürlich widerstrebt es jedem Menschen mit Herz, auch nur EIN totes Kind billigend in Kauf zu nehmen, selbst wenn das statistisch ganz toll aussieht.

Wir wissen auch: Die Impfungen wirken gut und werden auch gut vertragen. Nirgendwo ist es erkennbar, dass die Impfungen riskanter wären als die Infektion selber. Aber: Impfung braucht Zeit, und damit kommen andere Faktoren ins Spiel: Welchen Schaden richtet eine Fortschreibung einschränkender Maßnahmen an? Haben nicht gerade die Kinder jetzt genug unter Kontaktverboten gelitten?

Und hier muss man sich auch ehrlich machen: Es hat auch Kinderleben gekostet, alle Schulen dicht zu machen. Und womöglich nur sehr wenige gerettet. Wenn Kinder keine Gefahr mehr als Überträger für Ältere sind, weil letztere geschützt sind, beginnen die Opfer, die jede Form von „Lockdown“ verlangt, schwerer zu wiegen. Schon bei unserer Dritten Welle konnte man erkennen, dass sich die Kurven von Infektionen und Todesfällen von einander abkoppelten.

Andererseits stehen natürlich strategische Fragen im Raum: Ist es wirklich klug, eine Infektionskrankheit von der Kette zu lassen? Wird dadurch die Zahl der Infektionen, der Viren, der Wirte nach oben getrieben, und so auch in Kauf genommen, dass neue Mutationen gebildet werden, womöglich auch welche, die die Impfungen umgehen können, und wir alle dann wieder in Gefahr – und womöglich im Lockdown – sind?

Noch ist Zeit. Zeit, die Zahlen genauer zu fassen, die Argumente zu wägen und zu diskutieren. Zeit die Impfquote der Erwachsenen in die Nähe der 100% zu bringen. Wirkung von Impfung und Infektion bei Kindern zu studieren. Aber dann werden wir uns entscheiden müssen, und Schleswig-Holstein hier in Deutschland als allererstes. Und keiner Seite wird es leicht fallen zu akzeptieren, wenn man sich für die Alternative entscheidet.

Halten wir fest: Die größten Risiken liegen hinter uns. Egal was wir tun, es wird keine Leichenberge, keine überforderten Intensivstationen und zusammenbrechenden Gesundheitssysteme mehr geben, wenn die Impfkampagne Erfolg hat und keine völlig neuen Mutationen auftauchen. Auch wenn es zwischenzeitlich knapper war, als es nötig gewesen wäre: Apokalypse fiel aus.

Vielleicht hilft es zu etwas Gelassenheit bei den anstehenden Entscheidungen.


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