Ich hatte bereits vor langem mal gebloggt, dass der „unwählbar“ Stempel viel zu schnell vergeben wird, und letztlich mehr über die mangelnde Kompromissbereitschaft dessen aussagt, der dieses Label irgendwo raufdrückt als über die Partei oder Person, die so abgestempelt wird. In einer Demokratie ist (auch für Christen) vieles wählbar, wenn auch immer mit Schmerzen, weil es keine Partei oder Person ohne Fehler und schwierige Positionen gibt. Aber wir leben nicht im Himmel, sondern auf der Erde, also Deal with it. Trotzdem gibt es auch für mich Grenzen, ähnlich wie bei Stiftung Warentest gibt es Kriterien, die zur Abwertung führen, wenn sie nicht erfüllt sind. Aber auch das ist meine Meinung, und man darf ganz andere rote Linien ziehen, das ist mir bewusst. Doch nun zum Thema: Wer ist alles wählbar in der Bundestagswahl?
CDU/CSU und Armin Laschet
Prädikat: Wählbar. Armin Laschet ist ein Netzwerker. Wer ihn als beratungsresistent bezeichnet, hat keine Ahnung, das Gegenteil ist richtig. Mit seinem Zukunftsteam macht er sogar transparent, wer ihn berät, und da sind kluge Köpfe bei. Er kann zuhören, er kann Entscheidungen treffen. Er positioniert sich als Kandidat der Mitte, grenzt sich nach rechts ab und ist überzeugter Europäer. Er würde wichtige Themen wie Klimawandel, innere Sicherheit, Europäische Integration und Westbindung, Migrationskrise, Verhältnis zu Russland und China, im Wesentlichen versuchen, im Konsens voranzubringen. Wenn es ihm gelingt, auch konservative – aber noch nicht ganz verlorene – Bevölkerungsteile von notwendigen Maßnahmen zu überzeugen, und „mitzunehmen“ wäre das ein großes Glück für Deutschland. Denn z.B. Klimawandel ist kein politisch-ideologisches Projekt, sondern eine Menschheitsaufgabe. Dies scheint er begriffen zu haben, und in einer möglichen Koalition mit den Grünen könnte sich einiges realisieren lassen.
SPD und Olaf Scholz
Prädikat: Wählbar. Olaf Scholz steht für Kontinuität und Wandel gleichzeitig. Er ist der einzige Kandidat aus dem Merkel-Kabinett. Wer mit Merkels Arbeit zufrieden war (und das sind viele in Deutschland), kann Scholz wählen. Viele in seinem Team sind versierte und erfahrene Leute. Die SPD hat eine breite Spitze kompetenter Köpfe. Gleichzeitig wäre er der Kandidat für eine neue, sozialdemokratischere Politik. Gerade innenpolitisch spricht vieles dafür, an einigen Stellen sozial nachzusteuern. Das Subsidiaritätsprinzip (erst bin ich selbst, verantwortlich, dann meine Familie, dann erst der Staat) kommt immer mehr an Grenzen. Bessere Steuergerechtigkeit mit Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen stehen auf dem Programm. Dass er die Superreichen nicht schont (wie gerne unterstellt) zeigt sich daran, dass er als Finanzminister maßgeblich mitgewirkt hat, weltweite Steueroasen auszutrocknen und globale Mindeststeuern durchzusetzen. Außenpolitisch ist auch er überzeugter Europäer, und könnte gut dafür sein, die Union sozialer zu gestalten, mit Mindeststandards an Steuern, Arbeitnehmerschutz und Umweltauflagen. Auf dem internationalen Parkett wird er sich und Deutschland kaum blamieren.
Die Grünen und Annalena Baerbock
Prädikat: Wählbar. Annalena Baerbock steht am ehesten für Erneuerung und Aufbruch. Nach 16 Merkeljahren ist das eine echte Sehnsucht in Deutschland. Nach einer Ära vermeintlich alternativloser Realpolitik könnte es die Zeit sein, mal wieder profilierte, visionäre Ansätze zu probieren. Insbesondere in den großen Lebensfragen Klimawandel, Sozialpolitik, Flüchtlingsfrage, Deutschlands und Europas Rolle in der Weltpolitik – verdichtet sich das Gefühl, das einfach so weiterwurschteln womöglich nicht reicht. Bei den Grünen gibt es eine hohe Dichte kompetenter, visionärer Leute, die nur darauf brennen, endlich substantielle Fortschritte in den großen Fragen zu erzielen. Auch Baerbock ist Europäerin, die Grünen haben in der Ukrainekrise die klarste Position gegen Russlands Invasion bezogen, sind sicherheitgspolitsch aus pazifistischen Träumen aufgewacht und haben Menschenrechte auf der Agenda.
FDP und Christian Lindner
Prädikat: Wählbar. Lindner ist kein Kanzlerkandidat, trotzdem verkörpert er stark das Profil der FDP. Was wirklich für die FDP spricht ist die Tatsache, dass in Deutschland häufig versucht wird, Ziele durch staatliche Regulierungen zu erreichen. Aber was gebraucht wird, ist Innovation. Und dafür muss sich der Staat als Ermöglicher und Versicherer aufstellen, nicht als Verhinderer und Regulierer. Die FDP hat begriffen, dass Vertrauen auf Gegenseitigkeit beruht, und ein Staat, der seinen Bürgern vertraut auch das Vertrauen der Bürger genießt. Auch ist es der FDP gelungen, sich neu zu finden, weder ist sie Spaßpartei geblieben, noch ist sie (vergleichbar der FPÖ) nach rechts abgestürzt. Dennoch gelingt es ihr, junge Leute für Politik zu begeistern und sie hat einiges an guten Leuten am Start. Außenpolitisch ist die FDP klar europäisch und westlich integriert.
Die Linke
Prädikat: Unwählbar. Ja, in einigen Punkten hätte die Linke wichtiges beizutragen. Über eine bedingungslose Grundsicherung nachzudenken, wenn das Subsidiaritätsprinzip in der Krise steckt, ist noch kein Kommunismus. Wir können – wie der Blick nach Skandinavien zeigt – durchaus mehr „Sozialismus“ wagen. Deutschland muss kein Niedriglohnland sein und kein Paradies für Spitzenverdiener. In der Frage des Klimawandels ist die Linke auch klar positioniert, die Herausforderungen anzunehmen und nicht herauszuzögern. Aber für Deutschland ist Außen- und Europapolitik eine Existenzfrage. Wir können uns keine Anti-Europäischen, keine Anti-Amerikanischen und auch keine Anti-Israelischen Positionen leisten. Diese Positionen gehören aber speziell bei den West-Linken zum Erbgut, sind prominent in Partei und Fraktion vertreten und machen die Partei (leider) unwählbar.
AfD
Prädikat: Unwählbar. Man kann versuchen, irgendetwas Positives zu finden, aber das scheitert alles schon im Ansatz. Ja, die Auseinandersetzung mit dem Islam und Islamismus braucht auch einen klaren Blick für kritische Fragen. Ja, bei Migrationspolitik müssen die Belastungsgrenzen einer Gesellschaft im Blick behalten werden. Aber wer diese Themen anfasst, muss peinlich darauf bedacht sein, jede rassistische, menschenfeindliche und letztlich faschistische Argumentation im Keim zu ersticken. Davon kann bei der AfD nicht die Rede sein. Wer aber zulässt, dass diese Fragen zum trojanischen Pferd für Rechtsextremisten und Nazis werden, die in die Partei und die Parlamente strömen, ist nicht nur „todeslost sein Urgroßvater“, sondern eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Finger weg!
Kleinparteien
Prädikat: Viele sind wählbar. Das Argument, in dieser „Schicksalswahl“ keine Stimme zu verschenken mag plausibel klingen, aber eine kleine Partei zu wählen kann dennoch helfen, bestimmte Themen auf die Agenda zu setzen, die einem wichtig sind, und die in anderen Parteien fehlen. Außerdem haben auch andere Parteien mal klein angefangen. Also warum nicht VOLT oder Freie Wähler? Eine Sonderchance haben wir hier im Norden: Wir können SSW wählen. Damit könnte man europäisches Denken, skandinavischen Sozialismus, Minderheitenschutz und norddeutsches Lokalkolorit in den Bundestag wählen – und braucht keine 5% Hürde zu fürchten. Und es gab (zumindest hier in Schleswig-Holstein) schon Situationen, da hing von deren Stimmen ab, wer die Regierung bilden durfte.
Heidelberg