Das klingt vielleicht vermessen, aber machen wir uns nichts vor: Mit der Verhängung nie dagewesener Wirtschaftssanktionen gegen Russland, mit der Zusage der Lieferung von Kriegswaffen an die Ukraine ist Deutschland mit der EU zwar nicht de jure, aber de facto auf Seiten der Ukraine in den Krieg eingetreten (ähnlich den USA in der ersten Phase des Ersten Weltkriegs auf Seiten der Alliierten).

Dieser Krieg wird teuer. Nicht nur für die Russen, die wirklich einen sehr hohen Preis zahlen müssen, sondern auch für uns. Man sieht es schon jetzt an den Tankstellen, bei der Heizölrechnung, und bei den 100 Milliarden Sondervermögen der Bundeswehr fragt man sich auch, wo das her kommt. Wollte Christian Lindner das aus eigener Tasche bezahlen, müsste er 100.000 Mal im Lotto gewinnen. Dafür reichen zehn Leben nicht aus.

Also muss man jetzt formulieren, was man eigentlich erreichen will. Oder wenigstens diskutieren. Und um das vorwegzunehmen: Nur ein Überleben der Ukraine irgendwie, womöglich weiter beschnitten und beschränkt, mit Gebietsverlusten im Osten usw. kann kein Ziel sein, für das sich dieser Aufwand lohnt. Auch von der Logik her nicht: Wer einen Krieg anfängt und verliert, sollte danach schlechter dastehen als vorher. Sonst probiert er es immer wieder.

Also erstes Kriegsziel ist die militärische Niederlage Russlands bei seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Aber dann? Kein Kriegsziel ist die Vernichtung Putins, Regimechange oder dergleichen: Das ist Sache der Russen, ob sie ihn an der Macht (resp. am Leben) lassen. Also niemand marschiert nach Moskau, wenn man die Ukraine erfolgreich verteidigt haben sollte.

Aber zu kurz stecken sollte man die Ziele nicht. Ob man sie erreicht, steht freilich auf einem anderen Blatt. Mein Vorschlag wäre: Vertreibung aller russischen Soldaten aus dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine. Und damit meine ich die Grenzen von vor 2014. Also die Regionen Donbas und Luhansk eingeschlossen. Und die Krim. Ich sehe keinen logischen Grund darauf zu verzichten.

Ja, wir (die Ukrainer allerdings nicht) waren dabei, uns zähneknirschend damit abzufinden, dass die Krim nach der förmlichen Annexion Russlands verloren ist, und Putin erklärt hat, sie notfalls nuklear zu verteidigen. Aber die Zeit des Zähneknirschens ist vorbei, wenn sich die andere Seite auf eine Beißerei stürzt. Wenn die Ukraine militärisch Oberhand gewinnen sollte, die Brücke von Kerch sprengt und die eingeschlossenen Krim Truppen der Russen zur Kapitulation zwingt, kann man sie nur beglückwünschen.

Dass man beim Verlieren illegaler Angriffskriege Gebiete verliert, wissen wir Deutschen nun aus eigener Erfahrung. Grüße an Putin aus Königsberg (das nicht zur Debatte steht!). Das Mindeste ist, dass man die illegal eroberten Gebiete zurückgibt. Ob man über Sewastopol noch mal reden kann, müssen die Ukrainer entscheiden, und da kann man den Russen wenig Hoffnung machen.

Politisch wäre ein Ziel, die Ukraine in EU und NATO aufzunehmen und am besten Finnland und Schweden gleich mit, weil das die Sicherheit des Baltikums erheblich erhöhen würde. Innenpolitisch ist das Ziel die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Republik zurückzugewinnen. Also Strukturen und Ausstattung so zu gestalten, dass mehr als Symbolik drin ist, wenn Deutschland Position beziehen will.

Denn das oberste Kriegsziel sollte sein, dass danach eine Sicherheitsordnung in Osteuropa herrscht, die wirklich nachhaltig ist, und erneute Angriffe auf Nachbarstaaten Russlands faktisch ausschließt. Das erübrigt nicht die Notwendigkeit, Russland die Tür zum europäischen Haus offenzuhalten. Die Idee, es könnte Teil der westlichen Werkgemeinschaft werden, ein Partner auch in Konflikten mit duschgeknallten Djihadisten, Verhandlungspartner beim iranischen Atomdeal, und nicht zuletzt sogar Alliierter, um chinesischen Allmachtphantasien nötige Grenzen zu setzen.

Genau deshalb darf man nicht zu früh die Geschlossenheit des Westens aufgeben, auch wenn es nicht einfach sein wird, das Elend auszuhalten, das Sanktionen möglicherweise in Russland verursachen, wenn der Krieg an den ukrainischen Fronten blutig wird, und Putin russische Soldaten in Massen verheizt und rücksichtslos seine alles vernichtende Artillerie einsetzt. Und wenn man auch hier spürt, wie teuer Krieg führen ist. Ziele zu haben hilft dann enorm.

Heidelbaer

Eine Antwort zu „Kriegsziele”.

  1. Avatar von Martinus Araújo Schmidt
    Martinus Araújo Schmidt

    Ernsthafte Anliegen, die ich her lese.

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