„Nichts ist gut in Afghanistan“ mit diesem Satz erntete die damalige Bischöfin und Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann heftige Kritik. Denn damit griff sie einen Konsens an, der gerade uns Deutsche so gut und vernünftig aussehen ließ: Selbst Obama, Friedensnobelpreisträger immerhin, und Gerhard Schröder, die Grünen und die CDU, man war sich einig: Der Irakkrieg von Bush war böse, der Afghanistankrieg ist gut. Er richtet sich gegen die bösen Taliban, die nicht nur Terrorpaten wie Osama bin Laden beherbergten, sonder die auch Frauen versklaven und Götterstatuen sprengen.
Ein guter Krieg, ein gerechter Krieg, und wir führen ihn auch auf gute Weise, weil wir nicht nur zerstören, sondern auch aufbauen: Mädchenschulen, Krankenhäuser, Infrastruktur, Demokratie. Und dann kam eine und sagte: Der Kaiser ist nackt – nichts ist gut in Afghanistan. Und sie hatte recht. Ich erinnere mich noch, wie wir im Konvent von Pastorinnen und Pastoren mit einem Militärseelsorger und einem Soldaten gesprochen haben, die aus Afghanistan zurück waren. Es war ernüchternd: Sie schilderten, wie der Kontakt zur Bevölkerung abriss, wie sich die Bundeswehr immer mehr zurückzog und verschanzte, wie der gesamte Aufbau sich bald nur noch auf Leuchtturmprojekte beschränkte.
Schon in Schätzings „Breaking News“ wurde eindrücklich die verfahrene Situation in Afghanistan beleuchtet, wenn auch nur als ein Nebenschauplatz, weil die Hauptstory in Israel/Palästina spielt. Nun legt Carsten Jensen mit „Der erste Stein“ einen Afghanistan-Roman vor, der aus der Perspektive dänischer Soldaten 640 Seiten diesem Krieg widmet. Es war meine Urlaubslektüre, und ich kann sie wirklich empfehlen, auch wenn es zum Teil wirklich harte Kost ist.
Als jemand, der auch Forsyth und Clancy gelesen hat bleiben was das Militärische angeht im letzten Viertel ein paar Detailfragen offen, aber im Ganzen ist es nach meiner Laienmeinung hervorragend recherchiert und vor allem bringt es die Dilemmata hervorragend an Charaktere geknüpft zur Sprache. Und er fängt eine Stimmung ein zwischen Held-sein-wollen, etwas bewegen wollen, die größte Feuerkraft haben und am Ende mit dem Scheitern konfrontiert zu sein. Neben allen wichtigen Zutaten für großes Kino wie Liebe, Verrat, Treue, Mut, Verzweiflung, Tod und wunderbare Rettung.
Rasant erzählt, über weite Strecken ein echter Pageturner. Ein wirklich origineller, fast schräger Hauptplot, der dadurch für immer wieder neue und unerwartete Wendungen sorgt und alle Gut/Böse Schemata zerbröselt. Und – fachlich interessant – ein Militärseelsorger, der zu den mit Liebe und Tiefe ausgestalteten Personen dieses Dramas gehört (mir fiel dabei auf, wie oft Pfarrerinnen und Pfarrer klischeehaft und eindimensional dargestellt werden).
Auch der Titel verrät eine theologische Pointe, die allerdings erst auf den letzten Seiten entschlüsselt wird.
Klare Leseempfehlung also an alle, die mit dem Genre Faction etwas anfangen können (die Mischung aus gut recherchierten Hintergründen, in die eine fiktive, aber durchaus mögliche Story eingeflochten wird), die epische Romane mit authentischen Charakteren lieben, und die sich schon immer kritisch gefragt haben, was unsere Bundeswehr in Afghanistan eigentlich tut, und ob der Einsatz dort überhaupt noch sinnvoll ist.
Heidelbaer